Die Wolkenreiter Bd 3 - Herrscherin der Lüfte
und es stürzte langsam und qualvoll auf das Meer zu. Es war zu weit weg, um erkennen zu können, ob die Pferdemeisterin versuchte, es zu retten. Wenn sie es in eine flachere Stelle lenkte, konnte es überleben. Doch noch bevor das Pferd auf dem Wasser aufschlug, wurde die Reiterin abgeworfen und flog mit wehenden Röcken durch die Luft. Ross und Reiterin verschwanden hinter den Dächern der Stadt.
»Oh Gott! Nein! Das war Wanderer!«, stöhnte Susanna Stern.
»Bei Kallas Zähnen«, knurrte Philippa Winter, als sich der Rest der Flieger aus der Formation löste und wieder vor den grauen Wolken aufstieg. Die Schülerinnen am Ende der Reihen folgten den Anführerinnen und flogen weiter nach oben und weg von den Kanonen.
»Können sie ihn retten?«, schrie jemand. Lark glaubte, dass es Isobel war, konnte sich aber nicht von dem grausamen Anblick ihrer Klassenkameradinnen über dem Hafen losreißen.
»Nein«, erwiderte Meisterin Winter harsch. »Er ist verletzt, und seine Flügel sind geöffnet. Er wird von ihnen nach unten gezogen. Es wird wohl jemand Carolina retten, obwohl sie sich sicher wünschen wird, dass man es nicht täte.«
Überall auf dem Balkon ertönten entsetztes Weinen und Schluchzen. Selbst Sarah Renner fing laut an zu heulen.
»Nicht hysterisch werden!«, sagte Meisterin Winter deutlich. »Das beunruhigt die Pferde. Beherrschen Sie sich.« Das Schluchzen wurde abrupt erstickt, doch Lark hörte, wie die Mädchen an ihren Tränen würgten. Auch sie hatte einen schmerzenden Kloß im Hals, doch sie schob das Kinn nach vorn und tätschelte die leise weinende Anabel. Sie sagte sich, dass sie später um Wanderer trauern konnte. Als sie einen Blick nach links warf, sah sie, dass auch Hesters Augen trocken waren, obwohl ihr Gesicht starr vor Schreck war.
Alle sahen zu, wie die Formation der Geflügelten Pferde in der Luft schwebte. Es waren keine Kanonenschüsse mehr zu hören. Als sich die Formation zu Offenen Reihen zusammenschloss, war deutlich eine Lücke zu sehen. Lark konnte den Anblick kaum ertragen. Durch die Entfernung und die Stille wirkte die ganze Szenerie so unwirklich. Es kam ihr wie ein Albtraum vor, bei dem man weiß, man wacht bald auf, und alles ist gar nicht wirklich geschehen. Es war ihr, als würden Wanderer und Carolina gleich wieder am Horizont auftauchen und sich ihren Mitstreiterinnen anschließen.
Doch das würde nicht passieren. Ein wunderschönes Geflügeltes Pferd war verloren. Ein Kanonenschlag hatte von jetzt auf gleich das Leben einer Pferdemeisterin ruiniert. Und wofür?
Einen Augenblick später eilte die Hausdame die Treppe hinauf und trat keuchend hinaus auf den Balkon. Sie hielt eine zusammengerollte Nachricht in der Hand und reichte sie hastig Meisterin Winter und Meisterin Stern, die nebeneinanderstanden. Die beiden Pferdemeisterinnen wechselten einen kurzen Blick, dann entrollte Meisterin Winter das Schriftstück, und sie beugten sich beide darüber.
Lark versuchte ein paar tröstende Worte für Anabel zu finden, als sie Meisterin Stern sagen hörte: »Aber Philippa! Du wirst doch nicht …«
Aber Philippa Winters aufrechte Gestalt verschwand bereits die Treppe hinunter. Meisterin Stern war einen Schritt hinter ihr. Wortlos und ohne dass man sie dazu aufgefordert hatte, lief Jolinda schnell hinter ihnen her. Kurz darauf trat Meisterin Winter aus den Doppeltüren unter dem Balkon und knöpfte ihren Reitmantel zu. Während sie die Stufen hinunterlief, setzte sie ihre Schirmmütze auf, und als sie den Hof überquert hatte, hatte sie sich bereits die Handschuhe übergestreift und die Gerte an ihrem Gürtel befestigt. Es war keine Spur von Meisterin Stern zu sehen, doch Jolinda eilte an Meisterin Winter vorbei und lief voraus zu den Stallungen.
Lark wandte den Blick wieder dem Meer zu und sah gerade noch, wie die Pferde in Doppelreihen über das Schiff aus Kleeh hinwegflogen. Das Schiff hatte die Segel gesetzt und kreuzte vor dem Eingang zur Bucht. Sie hörten das Donnern der Kanonen und sahen die Rauchwolken. Als die Pferdereihen hinab und über den Bug des Schiffes hinwegflogen, ertönte ein Gegenschuss. Wieder wurde eine Kanone gezündet, Rauch stieg auf, und wieder wendete das Schiff aus Kleeh langsam und schwerfällig wie eine
dicke Madame, die ungelenk versucht, mit weiten Röcken zu tanzen.
Larks Mund war vor Angst ganz trocken. Sie wollte wegsehen, konnte den Blick aber nicht losreißen. Ihre Hand wollte nach der Kette mit dem Zeichen von Kalla greifen,
Weitere Kostenlose Bücher