Die Wolkenreiter Bd 3 - Herrscherin der Lüfte
und einen Augenblick konnte sie sich nicht mehr erinnern, wieso sie nicht mehr um ihren Platz hing.
Amelia! Sie erschauerte. Über allem anderen hatte sie beinahe die arme Amelia vergessen.
Und dann vergaß sie alles, als sie sah, wie Meisterin Winter und Wintersonne von der Flugkoppel aufstiegen. Sie und Hester und all die anderen schnappten bei dem Anblick von Meisterin Winters schlanker, ganz in Schwarz gekleideter Gestalt und Wintersonnes majestätischer Kraft und Anmut nach Luft.
Lark umklammerte mit den Händen ihre Ellbogen und zitterte voll düsterer Vorahnung. Meisterin Winter flog nicht nach Osten auf den Hafen zu. Dort löste sich die Formation auf. Jede Fliegerin vollführte eine halbe Wende und schwebte dann auf der Stelle über den aufgeblähten Segeln des Schiffes aus Kleeh.
Wintersonne flog geradewegs nach Norden.
»Wo will sie hin?«, fragte Isobel. Und als sie keine Antwort erhielt, sagte sie noch einmal: »Wo fliegt Meisterin Winter hin? Bitte ignoriert mich nicht, nur weil ich eine neutrale Haltung eingenommen habe! Ich habe auf mein Gewissen gehört, genau wie ihr!«
»Niemand nimmt dir übel, dass du auf dein Gewissen gehört hast«, erwiderte Hester.
Isobels Augen füllten sich mit Tränen. »Danke«, sagte sie unglücklich. »Ich habe immer und immer wieder darüber nachgedacht, ob es unsere Pflicht ist, uns dem Fürsten gegenüber
loyal zu verhalten, oder ob wir Prinz Frans folgen und die Blutlinien schützen sollten – ich weiß einfach nicht, was richtig ist.«
Hester nickte. »Es ist schwierig. Es gibt kein Beispiel, an dem wir uns orientieren können, wir müssen unseren eigenen Weg finden. Lark, denkst du nicht …?«
Lark hörte die letzten Worte zwar noch, antwortete jedoch nicht mehr. Sie war bereits an der Tür und eilte die Stufen hinunter. Ihr Herz hämmerte vor Angst. Sie glaubte zu wissen, wo Meisterin Winter und Wintersonne hinwollten, und sie konnte sie nicht allein gehen lassen.
Kapitel 28
W ilhelm hatte das Zimmer seines Vaters seit seiner Inthronisation unverändert gelassen. Der Ohrensessel stand immer noch so neben den hohen Fenstern, dass man von dort aus einen guten Blick auf die Stallungen und die Koppeln hatte. Friedrich hatte gern dort gesessen und zugesehen, wie seine Geflügelten Pferde über dem Park trainiert hatten. Immer und immer wieder hatte der kleine Wilhelm im Eingang zu diesem Raum gestanden und darauf gewartet, dass sein Vater ihn bemerkte. Jedes Mal hatte er lange darauf warten müssen. Seither waren viele Jahre vergangen, doch die Erinnerung daran machte ihn immer noch ein bisschen wütend.
Der alte Fürst war sehr zielstrebig gewesen. Seine Leidenschaft für die Tradition des Fürstentums sowie die Blutlinien der Geflügelten Pferde war fast unerträglich gewesen, doch als Herrscher hatte er eine hohe Beliebtheit genossen. Wilhelm wusste, dass das Volk von Oc ihm längst nicht so viel Zuneigung entgegenbrachte.
Er lehnte sich mit der Hüfte gegen die geschwungene Lehne des Ohrensessels und blickte hinaus in den Hof. Er hatte die Fliegerinnen schließlich zurückrufen müssen. Nicht etwa weil er gehört hatte, dass sie ein Pferd verloren hatten, sondern weil es wieder begonnen hatte zu schneien und die Schneewehen über das kalte Wasser flogen und sich in den Wellen auflösten. Er hatte von Meisterin Baron
gelernt, dass Geflügelte Pferde nicht bei starkem Schneesturm fliegen sollten. Der Schnee schmolz auf den warmen Flügeln, und das Wasser staute sich zwischen den Rippen, so dass die Flügel nicht mehr richtig arbeiten konnten. Es waren schon Fliegerinnen abgestürzt, weil sie in einen plötzlichen Schneesturm geraten waren.
Er hatte nicht den Eindruck gehabt, dass es so stark schneite. Aber diese zwölf – nun ja, elf – Fliegerinnen waren alle, die er hatte. Er hatte es nicht gewagt, sie in Gefahr zu bringen.
Und er hatte natürlich auch keinen Zuchtmeister mehr, mit dem er sich beraten konnte.
Die Marinan war vor Anker gegangen, und Wilhelm hatte auch die Patrouillenboote zurückgerufen. Es war nur eine Drohgebärde gewesen, so als wenn man den Degen auf das Gesicht des Feindes richtet, ohne dass man vorhat, wirklich zuzustechen. Es war nie seine Absicht gewesen, ein Geflügeltes Pferd zu verlieren, und er musste wohl dankbar sein, dass das Patrouillenboot wenigstens die Pferdemeisterin gerettet hatte.
Verfluchter Slathan! Das war alles seine Schuld. Wenn der nicht den Kopf verloren hätte, wäre das Mädchen nicht entkommen.
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