Die Wolkenreiter Bd 3 - Herrscherin der Lüfte
hinter den Hügeln die Sonne unter, und über den Himmel zogen sich die roten und rostfarbenen Streifen eines herbstlichen Sonnenuntergangs. Als sie an einer Hütte ankamen, die ganz allein mitten auf einem Feld stand, begannen die Farben bereits zu verblassen. Es war einmal geschnitten worden, und die zweite Ernte reichte Amelia bereits bis an die Knie. Ein Heuwagen mit einer gebrochenen Achse stand im Eingang der Hütte, deren Türen aus rohen Brettern mit Eisenscharnieren befestigt waren.
Amelia blieb stehen, Mahagoni ebenfalls. Beere sah mit wedelndem Schwanz erwartungsvoll zu ihr hoch.
»Geht hinein«, forderte Fürst Wilhelm sie auf.
Amelia hob das Kinn. »Das werde ich nicht tun«, erklärte sie.
Der Fürst lächelte, kam näher und hielt die Gerte dabei lässig in der Hand. Mahagoni begann zu schnauben, stampfte mit den Hufen und drückte die Flügel gegen die Flügelhalter.
Der Fürst beugte sich zu Amelia vor, und sein freundlicher Ton ängstigte sie mehr, als wenn er geschrien hätte. Er sagte: »Gehen Sie hinein, Riehs, oder ich zerre Sie in die Hütte und lasse Ihr Fohlen hier draußen ganz allein stehen. Es dürfte sich vermutlich verletzen, wenn es versucht, zu Ihnen zu gelangen.«
Der Oc-Hund knurrte, und Amelia legte eine Hand auf seinen schmalen Kopf. »Ganz ruhig, Beere.« Sie packte den Backenriemen von Mahagonis Halfter und führte ihn hinein. Er lief gehorsam neben ihr her, und Beere folgte ihnen mit einem letzten Knurren in Richtung des Fürsten.
Sie betraten die dunkle Hütte. Sensen und Sägeblätter hingen hier und dort an der Wand. Die grauen Bretter waren mindestens drei Finger dick, und die Holztür war noch einmal doppelt so stark. Amelia bezweifelte, dass sie sie auch nur eine Handbreit selbst bewegen konnte.
Wilhelm schob den Wagen aus der Hütte in das halbhohe Heu. Er ächzte vor Anstrengung, als er die Tür bewegte. Das Holz knarrte. Schließlich schnappte die Tür an dem anderen Pfosten ein und schloss das letzte Abendlicht aus. Amelia, Mahagoni und Beere standen im Dunkeln.
»Durchlaucht! Mein Pferd braucht Wasser und der Oc-Hund auch!«, rief Amelie laut.
»Natürlich«, sagte er ruhig. »Sehen Sie in der Ecke nach.« Es war das Rasseln einer Kette zu hören, dann rastete ein Vorhängeschloss ein.
Amelia legte ihr Ohr an die Wand und lauschte, wie die Schritte des Fürsten im Feld raschelten. Sie versuchte durch
den Schlitz zwischen zwei Brettern zu spähen, wobei sie sich zu ihrem Ärger einen Splitter in die Stirn jagte, doch sie konnte Wilhelm aus diesem Winkel nicht sehen.
Eigentlich sah sie fast gar nichts, bis auf ein paar Bäume und ein Stück des grünen Feldes – auf der Akademie hatte sie gelernt, dass dies Wiesenlieschgras war. Die Dämmerung sank herab, und ihr Mut sank ebenfalls. Wenn der Fürst nicht bald zurückkam, hieß das wohl, dass er sie die Nacht an diesem einsamen Ort verbringen lassen wollte.
Eine Weile stand Amelia einfach da, hatte die Stirn gegen das verwitterte Holz gelehnt und kämpfte mit den Tränen. Sie holte tief Luft, riss sich zusammen und dachte an ihren Vater.
Was würde Esmond Riehs an ihrer Stelle tun? Sicher würde er nicht heulen, ermahnte sie sich. Er würde seine Umgebung erkunden, sich um die wichtigsten Bedürfnisse seiner Tiere kümmern und dann so gut er konnte die Lage durchdenken. Und er erwartete zweifellos, dass seine Tochter sich genauso verhielt.
Sie wandte sich ab und musterte das Innere der Hütte. Es dauerte eine Weile, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Ein bisschen Dämmerlicht drang durch die Ritzen zwischen den Brettern, so dass sie den Lehmboden und etliche Geräte ausmachen konnte, die sie nicht kannte. Fenster gab es keine.
Mahagoni stampfte unruhig mit den Hufen. Amelia ging zu ihrem Fohlen, legte den Arm um seinen Hals und beruhigte es. »Es tut mir leid«, murmelte sie. »Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Jetzt sitzen wir ganz schön in der Klemme, was?« In einer Ecke entdeckte sie ein Eisenfass mit einem flachen Deckel. »Kommt ihr zwei, das muss Wasser sein. Trinken wir etwas.«
Der Oc-Hund winselte und leckte ihre Hand. Amelia hockte sich neben ihn und streichelte seinen Kopf. »Ich weiß, Beere. Aber wir müssen Ruhe bewahren. Wir sind doch Flieger, oder? Zumindest werden wir das bald sein, und ich bin die Tochter meines Vaters. Uns wird schon etwas einfallen.«
Sie stand wieder auf und presste die Finger gegen die Schläfen. Seit ihrer Kindheit hatte sie Unterricht
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