Die Wolkenreiter Bd 3 - Herrscherin der Lüfte
hörte, wie Nikh den Hang zum Fleckham-Haus hinaufstieg, hielt die Augen jedoch auf Jinsons ruhiges Gesicht gerichtet. Immer wieder lief sein Tod vor ihrem inneren Auge ab. Sie wollte es verdrängen, doch unablässig tauchten die schrecklichen Momente auf, Jinsons weit aufgerissene Augen, das Klicken, der schreckliche Knall und das Fauchen. Und dann das furchtbare Bild, wie Jinson zu Boden fiel und sich nicht mehr regte.
Er hatte versucht, sie zu beschützen. Er war vor sie getreten und hatte sich der Kugel in den Weg gestellt.
Amelia wusste, dass Jinson nicht sehr beliebt war, dass alle dachten, er wäre für die Aufgabe des Zuchtmeisters ungeeignet und das war er sicher auch. Aber er hatte sich um die Geflügelten Pferde gesorgt, und er hatte sich um sie gekümmert, nachdem sie zu Unrecht von seinem Herrn eingesperrt und missbraucht worden war. »Es tut mir so leid, Meister Jinson. Ich weiß nicht, ob irgendjemand um Sie trauert. Ich werde es auf jeden Fall tun. Das verspreche ich Ihnen«, flüsterte sie unter Tränen.
Sie stand auf, um die Pistole und die kleine Blechschachtel mit der Munition einzusammeln, dann setzte sie sich wieder hin. Eine ganze Weile wirkte sie ebenso reglos wie Jinson. Immer wieder wieherte Mahagoni auf der Trockenkoppel, aber trotzdem blieb Amelia, wo sie war. Sie stand erst auf, als Nikh mit dem Ochsenkarren aus Fleckham-Haus den Weg herunterpolterte. Der Ochse, der daran gewöhnt war, tote Dinge zu transportieren, stand ungerührt da, während Nikh und einer der anderen Soldaten Jinsons Leiche hochhoben und hinten auf den Karren legten. Auf der einen Seite des Karrens lag eine große zusammengerollte Plane, die sie über ihn breiteten.
Nikh ging zur Sattelkammer und überprüfte den Riegel, um sicherzugehen, dass er hielt. Während Nikh auf den Kutschbock kletterte und den Ochsen antrieb, bezog der andere Wachmann Posten neben der Tür.
Amelia beobachtete unsicher, wie der Karren davonrollte. Sie ließ die schwere Pistole und die Schachtel mit den Kugeln in ihre Tasche gleiten, die davon heftig nach unten gezogen wurde. Der verbliebene Soldat hatte beides offenbar ganz vergessen. Zu seiner Verteidigung sagte sie sich, dass er sich wohl mehr Sorgen um Slathan, den Mörder, machte als um sie.
In der Ferne donnerten erneut die Kanonen im Hafen, ein Knall, auf den ein Antwortknall folgte, dann Ruhe, während die Waffen nachgeladen wurden. Dann folgte erneut ein Knallen, das in der Ferne dumpf verhallte. Amelia starrte in Richtung Bucht, dachte an die anderen Männer, unschuldige Soldaten wie Nikh Hammloh, die womöglich in ebensolchen Blutlachen lagen, wie sie gerade unter ihren Stiefeln trocknete.
Sie musste etwas unternehmen, um diesen ganzen Wahnsinn
aufzuhalten. Wenn sie der Grund für diesen Krieg war oder auch nur der Vorwand, musste sie ihn aufhalten.
Sie trat mit zittrigem Schritt an die Seite des Stalls. Der Wachmann sagte nichts. Er folgte mit dem Blick Nikh und dem Ochsenkarren, der den Weg entlangrumpelte. Amelia machte noch einen Schritt.
Sie blickte zu dem Soldaten zurück, aber ihm schien nicht klar zu sein, dass sie einfach so weglaufen konnte. Auch er lauschte den Waffengeräuschen vom Meer. »Sie schießen schon wieder«, stellte er fest.
»Ich höre es«, antwortete sie. Sie legte eine Hand an ihren Hals. »Was glauben Sie, was das bedeutet?«
»Es ist Krieg, Baroness. Diese verdammten Kleehs …« Er hielt inne und sah sie an, als wäre ihm auf einmal eingefallen, wer sie war. Wie ein Fisch öffnete er den Mund und schloss ihn stumm wieder, er wirkte verwirrt und unsicher.
»Ich hole nur etwas Wasser für mein Fohlen und gehe weg von …« Sie blickte kurz auf die blutbefleckten Kiesel und schüttelte sich ganz bewusst, bevor sie sich abwandte.
Der Wachmann starrte ihr finster hinterher. Er hob den Degen, als wolle er ihr etwas befehlen, senkte ihn dann aber wieder und betrachtete verwirrt die verschlossene Sattelkammer. Er schien hin und her gerissen zwischen der Aufgabe, einen Mörder zu bewachen, und dem Befehl des Fürsten, auf seine fürstliche Geisel aufzupassen.
Slathan brüllte etwas aus der Sattelkammer, doch sie konnte nicht verstehen, was er sagte. Sie lief weiter seitlich um den Stall herum. Als der Soldat sie nicht mehr sehen konnte, hob sie ihren zu langen Rock hoch und rannte zur Trockenkoppel. Beere jaulte und folgte ihr.
Mahagoni erwartete sie am Tor, wieherte erleichtert und
stupste mit der Nase gegen ihre Brust, als wollte er sie dafür
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