Die Wolkenreiter Bd 3 - Herrscherin der Lüfte
am höher gelegenen Tisch ein.
Sie verstand sofort, dass das normale Leben nur scheinbar weiterging. Die Mädchen und Frauen schwiegen nicht nur angespannt wegen der Schüsse im Hafen, sondern auch wegen des Konfliktes, der innerhalb der Akademie schwelte. Als die Suppe serviert wurde, beobachtete Philippa die Schülerinnen an den langen Tischen. Anscheinend hatten sie sich ebenfalls geteilt. Es war subtil und weniger an einer Neuordnung der Stühle als an ihrer Haltung zu erkennen – eine abgewandte Schulter hier, ein zur Seite geneigter Kopf dort oder sie setzten sich so, dass ihre Blicke sich nicht begegneten.
»Bei Kallas Zähnen«, murmelte Philippa. »Herrscht denn selbst in diesen Mauern Bürgerkrieg?«
»Ja«, antwortete Susanna finster. »Selbst unter den Erstklässlerinnen, die noch nicht einmal zu reiten begonnen haben. Sie übernehmen die Haltung ihrer Eltern, wie auch immer die aussieht. Wenn sie glauben, ich wäre nicht da, höre ich, wie sie über Treue und Gehorsam streiten.«
»Hast du mit ihnen gesprochen?«, fragte Philippa.
Susanna sah sie unglücklich und schuldbewusst an. »Ich bin so froh, dass du da bist, Philippa. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und Kathryn und ich … Na ja, du siehst ja selbst. Ich weiß nicht, was aus uns werden soll!« Sie presste eine zitternde Hand auf ihren Mund, und in ihren Augen, die wie bei jeder Pferdemeisterin von zahlreichen Falten umringt waren, glitzerten Tränen.
Philippa presste die Lippen aufeinander und biss die Zähne zusammen, um die Wut unter Kontrolle zu bekommen, die in ihrer Brust aufstieg. Als sie es wagte, etwas zu sagen, erklärte sie nachdrücklich: »Susanna, Liebes, darf ich zu deinen Schülerinnen sprechen?«
Susanna nickte. Hinter ihr sah Philippa, dass Kathryn sie mit verkniffenem Mund beobachtete. Philippa nickte ihr zu. »Kathryn, ich muss auch dich um deine Zustimmung bitten. Das hier ist nicht gut für die Mädchen oder für uns … oder unsere Pferde. Sie sollten unsere erste Sorge sein.«
Einen Augenblick saß Kathryn ganz still da, dann sackten ihre Schultern ein. »Ich weiß, Philippa. Ich frage mich immer, was Margret gesagt hätte, was sie wohl getan hätte …«
»Sie hätte niemals zugelassen, dass wir uns so entzweien«, erwiderte Philippa. »Es widerspricht allem, woran sie geglaubt hat, allem, dem sie ihr Leben gewidmet hat.«
Mit zittriger Stimme sagte Susanna: »Ich wollte nie Leiterin werden, Philippa; das weißt du.«
Philippa berührte Susanna an der Schulter, es war eine ungewöhnliche Geste für sie. »Du tust dein Bestes, ebenso wie Kathryn.« Nach einer Pause, in der sie versuchte, ihre Wut wegzuatmen und ihre Gedanken zu ordnen, fügte sie leise hinzu: »Und ich auch.«
Sie wartete, bis die Suppenteller abgeräumt und den Mädchen und Pferdemeisterinnen ein Salat und herbstliches Gemüse serviert worden waren. Dann stand sie auf, strich ihr Wams glatt und sprach mit klarer, deutlicher Stimme. »Darf ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten?«
Die Mädchen wandten ihr ihre erstaunten Gesichter zu. Sie blickte sie einen Augenblick voller Mitgefühl an und
spürte, wie der Ärger erneut in ihr hochkochte. Wilhelm hatte einiges zu verantworten, und sie schwor sich, ihn sehr bald damit zu konfrontieren.
Sie dachte an die wunderschönen Pferde, die jetzt in den Stallungen auf der anderen Seite des Hofes standen. Sie dachte an die Jahrhunderte sorgfältiger Zucht durch die Fürsten, an die Generationen von Pferdemeisterinnen, die sich der Pflege und dem Training von Kallas Wesen gewidmet hatten. Sie dachte an das Wunder des Fliegens, dieses wertvolle Geschenk, das Kalla ihnen gemacht hatte, und ihr Hals war wie zugeschnürt.
Sie schluckte und richtete sich auf. Seit dem Tod ihrer lieben Freundin Margret hatte sie keine Tränen mehr vergossen, und sie würde es auch jetzt nicht tun. Als der vertraute Schmerz ihren Nacken hinaufkroch, hieß sie ihn willkommen.
Wie ein Schwert durchschnitt ihre Stimme das bedeutungsvolle Schweigen im Saal. »Wir schulden unsere Loyalität nicht einem Fürsten oder Herren«, sagte sie, »sondern den Geflügelten Pferden. Wir haben unseren Pferden zu dienen und die Blutlinien zu schützen.« Sie zögerte und blickte in die Gesichter im Saal. »Wenn wir kämpfen müssen, kämpfen wir Seite an Seite.«
Einige der Mädchen rutschten unruhig auf den Stühlen herum und runzelten nachdenklich die Stirn. Andere nickten, und Philippa hörte, wie Susanna neben ihr die Luft ausstieß,
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