Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
in ihrer Sturm-und-Drang-Zeit war Dolors ein wirklich dummes Schaf. Aber vielleicht war Intelligenz ja auch wirklich mit Erfahrung gleichzusetzen, wer weiß.
Nach der großen Tasse Schokolade in der Küche hatte Eduard sich zwar alle Mühe gegeben, nicht in lautes Gelächter auszubrechen, doch vergeblich. Dolors, Sie sollten sich mal im Spiegel sehen: Sie haben einen Schnurrbart!, prustete er schließlich los. Kurzerhand leckte sich Dolors mit der Zunge die Lippen ab, doch als ihr einfiel, in wessen Haus sie sich befand, griff sie schnell nach dem Tuch, das das Dienstmädchen ihr reichte. Während sie sich den Mund damit abtupfte, fiel ihr Blick zufällig auf Eduard – und sie erstarrte. Eduard betrachtete sie mit einem Blick, den sie nur zu gut kannte: So sah Antoni sie immer an, wenn sie neben ihm lag. Bei ihm gefiel ihr das sehr, Eduards Augen lösten jedoch tiefe Beklemmung bei ihr aus. Und wenn er lächelte, blieb sein Lächeln für sie leer.
In Antonis Lächeln hingegen sah sie den Mond, den Mond, der golden in das Zimmer fiel, in dem sie in jenem Winter viele Male gemeinsam über den Wolken schwebten, auch wenn sein Bett nicht mit feinstem Leinen bezogen war, den Mond, der dafür sorgte, dass ihre Liebe zu Antoni sie in einen einzigen Rausch der Leidenschaft versetzte.
Nach zwei Wochen war sie zu ihm zurückgekehrt. Eines Tages war sie ihm zufällig in einem Laden begegnet. Obwohl ihr das Herz bis zum Hals schlug, hatte sie ihn keines Blickes gewürdigt und sich gleich ausgiebig mit der Krämerin unterhalten. Da war Antoni von Gram gebeugt und mit müden Schritten aus dem Laden geschlichen – und ihr brach es das Herz, sodass sie ihn am nächsten Tag besuchen ging.
Woher weißt du so genau, was beim ersten Mal passiert?, hatte sie ihn zur Rede gestellt und ihm dabei fest in die Augen gesehen. Weil die einzige Frau, mit der ich vor dir zusammen war, ebenfalls noch Jungfrau war, hatte Antoni ihr aufrichtig geantwortet, sodass Dolors einen heftigen Stich in der Herzgegend verspürte, was Antoni nicht entging. Geboren und aufgewachsen bin ich in Sarrià, wo meine Eltern in einem Herrenhaus Bedienstete waren, begann er zu erzählen. Dort habe ich mit sechzehn was mit einem zwanzigjährigen Dienstmädchen angefangen. Für sie war ich vermutlich bloß ein unverschämtes Jüngelchen, dennoch gab sie sich mir hin, denn ich war der einzige junge Mann im Haus. Das Ganze dauerte etwa ein Jahr, bis die Fabrik der Familie Bankrott machte und der gnädige Herr an einem Herzinfarkt starb. Die Hausherrin, der ich es im Übrigen zu verdanken habe, dass ich in die Schule gehen konnte und lesen lernte, musste alles verkaufen und das Personal entlassen. Das Dienstmädchen, das irgendwo anders eine Anstellung fand, hatte mich schnell vergessen. Genauso wie ich sie. Sie hat mir nichts bedeutet.
Danach trat ein beredtes Schweigen zwischen ihnen ein, eines dieser Schweigen, das zwei zu versöhnen vermag, die aneinandergeraten waren. Dolors schämte sich, obwohl sie nicht genau wusste, weshalb. Schließlich gab sie ihrem Herzen einen Stoß und fragte das Erstbeste, das ihr in den Sinn kam: Und was ist mit deinen Eltern passiert? Oh, die leben jetzt mit der gnädigen Frau in einer kleinen Wohnung in der Innenstadt von Barcelona. Die Zeiten ändern sich … und die Beziehungen zwischen den Menschen auch, hatte Antoni lächelnd geantwortet und ihr seine Hand hingestreckt, in die Dolors dann ganz scheu die ihre legte.Und da zog Antoni sie an sich und flüsterte leise, hab keine Angst, während der zarte Atemhauch, der ihren Hals liebkoste, sie erbeben ließ. An jenem Tag wurde ihre Beziehung noch tiefer, sie öffneten eine neue Tür, die ihnen bis dahin verschlossen war.
In diesem Moment kommt Leonor zurück. Das Innere der Augen ist noch immer rot, doch die dunklen Augenschatten hat sie mit viel zu viel hellem Make-up überschminkt, sodass sie nun fast wirkt, als wäre sie in den Schminktopf gefallen. Was haben wir Frauen es doch einfach, denkt Dolors, mit einer dicken Schicht Creme können wir wunderbar kaschieren, dass wir geweint haben. Bei Männern ist das viel vertrackter, würden sie das tun, hielte man sie für Transvestiten. Aber Männer weinen ja nicht. Obwohl … sie weinen schon, aber nur im Geheimen.
Nicht einen Blick hat Leonor ihrer Mutter zugeworfen, während sie stocksteif an ihr vorbei ins Arbeitszimmer gegangen ist. Kopfschüttelnd sieht Dolors ihr nach und beugt sich dann wieder über ihre Handarbeit,
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