Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
langging.
Bitte, Mama, versuch, mich zu verstehen, aber ich werde sicher nicht zurückkommen, solange ich mit Papa unter einem Dach leben muss, versicherte Teresa ihr mit einem traurigen Lächeln, und Dolors wurde es ganz schwer ums Herz, weil sie so darum gekämpft hatte, Eduards Einverständnis zu erlangen. Wie immer las ihre Tochter es ihr vom Gesicht ab und tröstete sie, mach dir keine Sorgen, mir geht es gut, ich habe Arbeit gefunden, mit der ich mein Studium finanzieren kann, und wir beide können zusammen spazieren gehen, wann immer und sooft du willst – nur nach Hause komme ich nicht zurück.
Heutzutage ziehen die Kinder nicht mehr so schnell aus, wie Dolors von Mireia weiß. Nachdem ihre Männer gestorben waren, gingen sie lange Zeit einmal in der Woche miteinander zum Plaudern ins Café. Anfangs hatte ihr früheres Dienstmädchen sie noch gesiezt und mit Senyora Dolors angeredet und war nicht davon abzubringen gewesen, bis Dolors irgendwann so wütend wurde und aus dem Café rauschte mit den Worten: Dann will ich dich nicht wiedersehen, du weißt ja gar nicht, wie schlimm das für mich ist, leb wohl. Damals war Mireia ihr wie ein hartnäckiger Verehrer bis nach Hause gefolgt und hatte an der Tür Sturm geklingelt, sodass Dolors, die noch im Mantel war, schnell öffnete. Es fällt mir unheimlich schwer, Dolors zu dir zu sagen, sagte Mireia lächelnd, aber ich versuch’s, das verspreche ich dir.
Von jenem Tag an waren die Freundschaftsbande zwischen den beiden Frauen nicht mehr zu trennen gewesen.
Mireia hat ihr jedenfalls vor kurzem erst erzählt, dass ihreEnkelin mit beinahe dreißig Jahren noch immer zu Hause wohnt. Na ja … nicht vor kurzem, ein paar Jahre ist das sicher schon her, aber die sind ganz schnell vergangen. Wenn man jung ist, kommt einem ein Jahr unendlich lang vor. Nun schwinden die Jahre jedoch immer schneller dahin, sie sagen kurz Hallo, und schon sind sie wieder weg, wenn man Glück hat, merkt man gerade noch, dass sie sich haben blicken lassen. Es wird einem nur richtig bewusst, wenn man in den Spiegel sieht und sich verwundert fragt, wer ist denn diese runzlige alte Frau?, und es sich herausstellt, dass man das selbst ist.
Wie alt mag Mireia jetzt wohl sein? Achtundsiebzig? Achtzig? Na ja, egal. Jetzt, wo sie beide gesundheitliche Probleme haben, sehen sie sich nicht mehr so häufig, aber gestern hat Mireias Tochter sie mit dem Auto hergebracht. Leonor bringt sie nie irgendwohin. Nicht, dass Dolors Lust hätte, mit ihrer Jüngsten auszugehen, da macht sie sich nichts vor, und sie will sich ja auch nicht beklagen. Wenn jedoch Teresa kommt und es nicht eilig hat, geht sie mit ihr gern ein wenig spazieren. Nur ein kurzes Stück, gerade mal bis zur nächsten Straßenecke und wieder zurück, für mehr reicht ihre Energie leider nicht mehr. Sie sollten nicht viel stehen. Aber laufen Sie, so viel Sie können, hat ihr der Arzt empfohlen. Machen Sie auch immer schön Ihre Spaziergänge?, fragt er sie deshalb jedes Mal bei seinen Hausbesuchen, worauf sie den Kopf auf und ab und dann von einer Seite zur anderen bewegt, damit er sich selber einen Reim drauf macht und sie nicht lügen muss. Meine Schwester geht jeden Sonntag mit ihr spazieren, schaltet sich Leonor dann eilig ein, unter der Woche schafft das meine Familie leider nicht, wir haben alle unheimlich viel zu tun. Dolorssieht es ihm an, dass er mit dieser Antwort nicht zufrieden ist, aber Ihre Gymnastik machen Sie schon, oder? Wie lästig, er lässt aber auch wirklich nicht locker, Bein hoch und runter, beugen und strecken, immer die gleiche Leier, wie Sandra sagen würde.
In der Buchhandlung musste sie immer stehen, sitzen ging nur, wenn die frisch eingetroffene Ware ausgezeichnet werden musste. Doch die meiste Zeit bediente und beriet sie die Kunden. Bücher, Bücher, ein Leben voller Bücher, das war mehr, als sie sich je erhofft hatte. Nachdem Antoni sie kurz eingewiesen hatte, meinte er nur, mach dir keine Sorgen, mit der Zeit wirst du es schon lernen. Doch Dolors machte sich weder Sorgen noch ließ sie sich Zeit: Nach vierzehn Tagen brauchte sie Antoni und die beiden Angestellten fast nichts mehr zu fragen. Wie schnell du alles begriffen hast, sagte er eines Tages anerkennend, alle Achtung, Dolors. Weil ich es gern tue, Antoni, sehr gern. Da schaute er sie plötzlich an wie damals, als sie ihn in seinem Häuschen besuchte, und meinte, sag, möchtest du mir vielleicht mal abends nach Geschäftsschluss bei der Abrechnung
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