Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
… wenn du ihn nackt sehen könntest … er ist echt rattenscharf.«
Verblüfft hält Dolors mitten in der Hinreihe mit dem Stricken inne, während die beiden Frauen nun kichern wie zwei verdorbene Schulmädchen. Reden die beiden etwa vom Sohn des Direktors? Nach Leonors Andeutungen neulich hat Dolors ja bereits geahnt, dass ihre Jüngste eine Affäre mit ihm hat, sie aber so voller Wollust von ihm sprechen zu hören, überrascht sie doch.
»Möchtest du etwas trinken? Cola, Bier, Limonade …?«
»Mineralwasser, wenn’s geht, ich muss auf meine Linie achten. Ich komme mit dir in die Küche.«
Leider kann Dolors nun nicht mehr länger verstehen, was sie miteinander reden. Heiliger Strohsack, da hat Leonor ja eine schöne Vertraute gefunden, Dolors kennt sich da aus. Diese Glòria ist der Typ Frau, der feierlich Stillschweigen gelobt, doch sobald sie sich über die Freundin ärgert, deren Geheimnisse dann doch überall herumerzählt, eine richtige Schlange. Aber es hat keinen Zweck, Leonor zu warnen, die Dinge nehmen nun mal ihren Lauf, und außerdemist für Leonor der Umgang mit solchen Menschen sicher neu, und es wird ihrer Entwicklung guttun, das einmal zu erleben. Sie hat nie eine beste Freundin gehabt oder ist abends mit Kolleginnen noch etwas trinken gegangen, bis heute nicht, denn sie wollte immer vor Jofre zu Hause sein und dort wie eine brave Ehefrau auf ihn warten. Und Jofre kam spät, denn er war in der Schule, oder zumindest behauptete er das, denn in Wirklichkeit war er wohl bei seiner Ich-dich-auch-Mònica, Sandras minderjähriger Schulfreundin, das war so klar wie Kloßbrühe.
Auch als es zum ersten Mal an die Kassenabrechnung ging, war alles klar. Kaum waren die beiden Angestellten gegangen und Antoni hatte den Schlüssel im Türschloss umgedreht, winkte er sie mit einem eindeutigen Lächeln ins Zimmer der verbotenen Bücher, wo er die kleine Lampe anknipste, die in dem winzigen Raum die gleiche Stimmung erzeugte wie einst in seiner bescheidenen Unterkunft neben der Fabrik. Ich wusste, dass ich dich eines Tages wiedersehen würde, murmelte er, und dann schauten sie sich lange schweigend an. Schon ein ganzes Jahr war vergangen, seit sie gemeinsam zu studieren begonnen hatten und Dolors zwei Stunden am Tag in der Buchhandlung aushalf. Ein ganzes Jahr, in dem sie sich unterhalten, angelächelt und einander immer mehr angenähert hatten. Verzeih mir, sagte Dolors schließlich leise, und dieses Mal war sie es, die ihn zuerst zärtlich berührte und küsste. Und dann begann sich die Welt wieder für sie zu drehen, und Dolors fragte sich, wie sie es ohne diesen Mann so lange ausgehalten hatte, an den sie einst ihr Herz verloren hatte.
Man lebt nur einmal, doch leider vergisst man das oft, vor allem, wenn man noch jung ist und die Welt einemden Kopf mit sozialen Normen und sonstigem, scheinbar lebensnotwendigem Unfug vollstopft. Von ihren Philosophen hatte Dolors vor allem gelernt, dass es nicht nur eine Wahrheit gab. Zwei Menschen konnten von ein und derselben Sache sprechen, und doch verstand jeder sie anders. Und so war es nur allzu menschlich, dass man oft sogar da Tragödien sah oder schuf, wo gar keine waren.
Sie hingegen versuchte, ihre eigene herunterzuspielen. Fünf Jahre lang sagte sie niemandem ein Sterbenswörtchen, dass sie bei Antoni arbeitete und studierte, denn hätte Eduard davon erfahren, hätte es zu Hause einen Riesenkrach gegeben, und das war es nicht wert. Ach, was war in diesen Jahren nicht alles passiert: Eduard warf Teresa hinaus, und sie begann, ihn aus Kummer um ihre älteste Tochter zu hassen, und ihr Hass wurde von Tag zu Tag größer. Derweil musste sie mit immer weniger Haushaltsgeld auszukommen versuchen, sodass sie sich schließlich nicht einmal mehr ein Dienstmädchen leisten konnten. Und am Ende des unaufhörlichen Abstiegs bat Eduard eines Tages die Frau, die er immer klein gehalten hatte, in sein häusliches Büro und eröffnete ihr: Wir sind bankrott. Dolors schwieg, denn ihr war klar, dass ihr Mann noch mehr zu sagen hatte. Und tatsächlich fügte er mit zu Boden gesenktem Blick hinzu: Wir haben große Schulden, Dolors, und ich weiß nicht, wie wir die zurückzahlen sollen.
Noch immer sagte Dolors kein Wort, doch sie musste sich nun kräftig auf die Zunge beißen. Nicht, dass die Pleite unerwartet kam, sie hatte sie seit langem kommen sehen, schließlich war sie ja nicht dumm, sie musste nur sehr an sich halten, um nicht laut herauszuschreien, was ihr
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