Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
helfen? Natürlich nur, wenn du willst …
Nur selten spricht man ganz offen und ehrlich aus, was man in seinem tiefsten Inneren empfindet. Meistens verkleidet man nämlich seine Gefühle mit Worten, die man sich gerade noch zu sagen traut. Die Augen gestehen dem anderen jedoch die Wahrheit. Und Antonis Augen sprachen nicht von den Einnahmen – genauso wenig wie ihre Augen, als sie antwortete: Natürlich helfe ich dir bei der Abrechnung. Gerne sogar. Gleich morgen.
Zwar kann man seine tiefsten Gefühle zu beherrschen oder zu unterdrücken versuchen, doch kann man nicht vorsich selbst weglaufen. Schon der Versuch ist ein Fehler. In den vierzehn Jahren, die zwischen den alten Büchern in seinem Häuschen und denen in der Buchhandlung lagen, war einiges geschehen, Antoni und sie hatten sich verändert, doch der Duft der verbotenen Bücher hatte beide wieder zueinander geführt. Wie viel Zeit haben wir doch verloren …, denkt Dolors nun voller Wehmut, und eine dicke Träne läuft ihr über die Wange. Schnell beißt sie sich auf die Lippen, um nicht auch noch zu seufzen, und kramt dann energisch nach ihrem blütenweißen Taschentuch, das stimmt ja so nicht ganz, Dolors, sagt sie sich streng, Zeit geht einem eigentlich nie verloren, alles ist zu irgendwas gut, alles führt irgendwohin, alles bringt einen im Leben irgendwie weiter.
Auch wenn die jungen Dinger heutzutage sogar im Winter halbnackt herumlaufen, sollte sie ihr einen Rollkragen stricken. Sie will jedenfalls nicht schuld sein, wenn ihre Enkelin sich erkältet, und sie möchte auch nicht, dass Leonor mit ihr schilt, die sich ja anscheinend endlich traut, einiges von dem herauszulassen, was sie denkt, und wenn es noch so töricht ist.
Ah, wenn man vom Teufel spricht – beziehungsweise an ihn denkt wie in ihrem Fall … Dolors erkennt schon am Geräusch der Schlüssel und Schritte, wer gerade nach Hause kommt. In den ersten Wochen in Leonors Wohnung machte sie sich noch einen Spaß daraus, es zu erraten, und gab sich Tag für Tag Punkte, eins zu null, zwei zu null, oh, daneben, zwei zu eins, und so weiter, aber schon bald hörte sie damit auf, da sie stets bei drei zu null landete.
Heute hat Leonor Besuch mitgebracht, es sind die Schritte einer Frau, die ihr ins Wohnzimmer folgt.
»Hallo, Mama, darf ich dir Glòria vorstellen? Glòria, das ist meine Mutter.«
»Guten Abend, Senyora«, sagt die Besucherin, die um einiges jünger ist als Dolors, und gibt ihr die Hand.
Dolors lächelt und gibt ihr ihrerseits die Hand. Vermutlich hat Leonor ihr erzählt, dass Dolors nicht mehr sprechen kann, denn die Frau wirkt überhaupt nicht überrascht. Während sie wieder zu ihrem Strickzeug greift, mustert sie sie verstohlen. Sie ist so was von übertrieben geschminkt, dass sie einem schon fast leidtun kann. Dolors muss ein Lachen unterdrücken. Wie ist Leonor denn zu der gekommen?
Aha, sie ist eine Arbeitskollegin. Die beiden Frauen haben sich wenige Meter von ihr entfernt aufs Sofa gesetzt, sodass sie alles wunderbar hören kann, obwohl sie leise sprechen, weil die alte Oma ja nicht nur stumm, sondern leider auch noch taub ist, wie Leonor Glòria gleich zu verstehen gegeben hat.
Gekränkt und verärgert spitzt Dolors nun erst recht die Ohren. Das gehört sich zwar eigentlich nicht, aber sie kann sich ja nun mal keine Ohrenstöpsel in die Ohren pfriemeln, und außerdem ist das Belauschen der Gespräche um sie herum die einzige Zerstreuung, die sie überhaupt noch hat, jetzt, da sie nicht mehr reden und fast auch nicht mehr spazieren gehen kann. Lieber Gott, verzeih mir, dass ich mir diese kleine Freiheit erlaube, denkt Dolors. Für einen Moment blickt sie hinauf zur Zimmerdecke, um dem Himmel ihre Bitte direkt mitzuteilen, und dann beginnt sie, ganz professionell zu lauschen, indem sie so tut, als würde sie emsig und gedankenverloren stricken, während sie in Wirklichkeit gar nicht auf die Maschen achtet und hinterhermit Sicherheit alles wieder auftrennen muss. Aber das ist es auf jeden Fall wert.
Leonor hat zu sprechen begonnen, allerdings sehr leise, und Dolors muss sich arg konzentrieren.
»Ich fühle mich, als hätte ich eine zweite Chance bekommen. Und dabei dachte ich, in meinem Alter wäre alles schon aus und vorbei.«
»Wie ich’s dir gesagt habe. Bei mir war es genauso. Und du kannst mir glauben, es ist für beide von Vorteil: Du bietest ihm die Erfahrung und er dir die Jugend.«
»O ja … mein Gott, was für einen knackigen Hintern er hat
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