Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
in diesem Moment auf der Zunge lag: Solange alles gut lief, dahast du so getan, als gäbe es mich nicht, da hast du keinen Gedanken daran verschwendet, dass ich denken, fühlen, eine Meinung haben und dir vielleicht sogar helfen kann. Und jetzt, wo wir am Ende sind, kommst du an und sagst, ich weiß nicht, was wir tun sollen, und schaust mich dabei an, als wär’s an mir, die Karre aus dem Dreck zu ziehen. Das ist eine bodenlose Unverschämtheit!
Wie sehr sie ihn in diesem Augenblick hasste. Wortlos machte sie auf dem Absatz kehrt und rannte aus der Wohnung, hinaus an die frische Luft. Es musste etwas geschehen, mit diesem unbändigen Hass in ihrem Herzen konnte sie nicht länger leben. Ich verlasse ihn, sagte sie sich, nur: Was mach ich dann? Und wovon soll ich leben? Sie lief zu Antoni und erzählte ihm alles, was geschehen war, und sie gestand ihm, dass sie ihren Mann von Tag zu Tag mehr hasste. Noch nie zuvor hatten sie über Eduard oder Maria gesprochen, an diesem Tag konnte Dolors jedoch nicht anders, es sprudelte einfach aus ihr heraus. Danach trat eine eigentümliche Stille ein. Bis Antoni zu ihr sagte, er könne seine Familie nicht verlassen, würde sich aber sehr freuen, wenn sie den ganzen Tag bei ihm arbeiten würde, für ein ordentliches Gehalt und mit offiziellem Arbeitsvertrag.
So langsam nimmt der Ausschnitt Form an, während Dolors überlegt, dass ihr der Gedanke nie gekommen war, Antoni könne für sie seine Frau und Kinder verlassen. Er war nervös gewesen, bevor er ihr das sagte, so als wüsste er nicht genau, wie er es anstellen sollte, um sie nicht zu kränken. Und das hatte sie wirklich überrascht, weil sie immer gedacht hatte, er wisse längst, dass ein Zusammenleben für sie nicht in Betracht kam, dass die Familie eine Sache war, das, was sie beide verband, jedoch eine völlig andere.Ihre Liebe war doch frei von allen Konventionen, sie beide brauchten nur das Zimmer der verbotenen Bücher, ihre ureigene Welt, etwas anderes hätte ihr nur ein Ende bereitet!
Der Ausschnitt nimmt wirklich Form an, doch es sieht nicht gut aus, wäre sie bloß nicht der Strickanleitung gefolgt, für einen Winterpullover ist er viel zu weit, das muss sie wieder auftrennen. Das ist einfach nicht schön, Sandra, Liebes, verstehst du? Dolors schüttelt energisch den Kopf, nein, der Ausschnitt kann nicht so bleiben, tut mir leid, Sandra, das sieht nicht gut aus, hast du wirklich einen so schlechten Geschmack? Und dann muss sie plötzlich kichern: Was macht sie denn da? Sie tut ja so, als müsste sie mit Sandra diskutieren, als würde ihre Enkelin zu ihr sagen, Oma, bitte, bitte, lass es so, so ein Ausschnitt ist gerade todschick. Dabei weiß sie nicht einmal etwas von dem Pullover, er wird doch eine Überraschung für sie!
In diesem Moment kommen die beiden Frauen kichernd aus der Küche zurück. Schnell beugt sich Dolors wieder über ihre Strickarbeit, doch aus den Augenwinkeln sieht sie noch, wie Leonor ihre Bluse ein Stück hochstreift, um Glòria ihr Piercing zu zeigen.
»Schau, hier ist es. Und ich kann dir sagen, damit fühle ich mich wieder wie eine Siebzehnjährige.«
»So eine Einstellung lob ich mir, Schätzchen, und im Übrigen steht es dir verdammt gut.«
»Ja, das finde ich auch. Anfangs hat es sich ja ein bisschen entzündet, da hab ich mir echt Sorgen gemacht. Ich konnte ja niemandem was sagen, wer weiß, was Jofre denkt, wenn er’s sieht. Ich hatte schon Angst, dass ich es wieder rausnehmen muss, aber die im Studio meinten, mit ein bisschen Alkohol verheilt das schnell.«
»Also, soweit ich das sehen kann, ist jetzt alles in Ordnung.«
»Ja, und darüber bin ich sehr froh. Er steht nämlich voll darauf. Und weißt du, was? Er läuft ja immer mit Anzug und Krawatte herum, deshalb wirkt er, als wäre er zu so etwas nie im Leben fähig … Er hat auch eins, an einer ganz bestimmten Stelle, ganz vorne.«
Da prusten die beiden wieder los und lachen, dass ihnen die Tränen kommen. Also wirklich, Leonor, ich bin zwar kein Mann, aber schon allein beim Gedanken daran … Dolors schaudert es am ganzen Körper, wenn sie nur daran denkt, wo der Sohn von Leonors Chef sein Piercing haben soll – und plötzlich überkommt sie Sehnsucht nach jenen Jahren, die so lange schon zurückliegen, den Stunden im geheimen Bücherzimmer mit Antoni … Und ihr kommt es sogar so vor, als würde ihr ein wenig heiß, na, das ist ja ein guter Witz, in ihrem Alter, Dolors kichert, doch zum Glück merken es Leonor
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