Die Wuensche meiner Schwestern
sich herum wie ein Kraftfeld, das die Außenwelt aussperrte. Der Gedanke deprimierte sie. Und doch war es ein Bild ihrer selbst, an das sie sich im Laufe der Zeit gewöhnt hatte. Ihre besondere Zukunft war seit dem Tag ihrer Geburt stets wie ein Schatten vor ihr hinweggeschritten.
»Glaubst du an den Wahnsinn?«, wollte Aubrey von Meggie wissen.
Diese zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht, woran ich glauben soll.«
Aubrey fuhr mit dem Finger über die kalte Wasseroberfläche. Dass Mariah schrullig war, hatte niemand je bezweifelt. Sie war dafür bekannt, am helllichten Tag Blumen aus anderer Leute Gärten zu pflücken und sie auf der Ladentheke der Strickerei zu arrangieren (weil es nicht Stehlen ist, wenn etwas nachwächst). Bei Gemeindeversammlungen hob sie nie die Hand oder wartete darauf, dass man ihr das Wort erteilte – wenn es sie überkam, ließ sie einfach Schimpftiraden los, über was auch immer ihr gerade auf dem Herzen lag. Manchmal waren es logische Forderungen (Wir brauchen eine Ampel am Ende der Straße – Linksabbiegen ist dort schlicht unmöglich!), manchmal grenzten sie an Verrücktheit (Hunde sollten verdammt noch mal an der Halloween-Parade teilnehmen dürfen! Wenn es vordem Diner nicht genügend Parkplätze gibt, könnte man die Autos doch einfach aufs Dach stellen!). Im Stillen hatte Aubrey bereits begonnen, sich zu fragen, ob Mariah nicht langsam die Grenzen der Schrulligkeit überschritt. Und das machte ihr Angst. Denn wenn es den Wahnsinn tatsächlich gab, dann war das Opfer, die Hüterin der Strickerei zu sein, größer und furchteinflößender als jedes, das jemals für einen einzelnen Zauber erbracht wurde.
»Lasst uns nicht darüber reden.« Aubrey tauchte kurz die Hände ins Wasser, das kalt und glatt im Mondschein lag. »Das hätte Mariah nicht gewollt. Sie wollte, dass wir uns fröhlich an sie erinnern.«
Meggie lachte leise in sich hinein. »Wisst ihr noch, wie Mariah im Garten immer alle Katzen aus der ganzen Nachbarschaft gefüttert hat?«
»Ja, bis sie diesen Batman -Film mit Catwoman gesehen hat«, ergänzte Bitty.
Aubrey lachte.
Bitty beugte sich vor und nutzte den Moment. »Oh, und Meggie, erinnerst du dich daran, wie Mari und du euch in den Reitstall geschlichen …«
»… und den Hengst in ein Einhorn verwandelt habt«, lachte Aubrey. »Das weiß ich noch.«
Meggie grinste. »Es gibt keinerlei Beweise.«
»Dafür hätte man dich in die Sommerschule gesteckt«, fuhr Aubrey fort.
»Ja, bloß fand der Konrektor die Socken mit ihrem Rautenmuster, die Mariah ihm gestrickt hatte, so prima.«
Sie lachten gemeinsam, und ihre Stimmen wurden über das Wasser davongetragen.
»Wir waren eine ganz schöne Rasselbande, oder?«, meinte Bitty.
Meggie schnaubte. »Sind wir doch vielleicht heute noch.« Sie hob Mariah hoch und drehte die Urne in ihren Händen. »Ich finde, wir sollten sie hierlassen.«
Aubrey zuckte zusammen. »Was? Nein.«
»Sie will doch nicht im Wohnzimmer auf dem Kaminsims sitzen. Lassen wir … lassen wir sie einfach frei. Jetzt gleich.«
»Das ist illegal«, erklärte Bitty, obgleich ihr Tonfall andeutete, dass sie nicht ganz abgeneigt war.
»Alles ist illegal«, gab Meggie zurück.
»Ich weiß nicht recht.« Aubrey rieb sich den Nacken. »Mariah hat nicht um eine Seebestattung gebeten – oder eine … Flussbestattung. Hätte sie es uns nicht gesagt, wenn sie es so gewollt hätte?«
»Vielleicht war es ihr egal, was mit ihrem Körper geschieht«, erwiderte Bitty. »Vielleicht wollte sie es dir überlassen.«
»Genau.« Meggie ließ ihre Zehen auf der Wasseroberfläche kreisen. »Vielleicht hat sie gedacht, dass ihr Körper für uns jetzt wichtiger ist als für sie.«
»Kann sein.«
Aubrey streckte ihre Hände nach der Urne aus. Meggie reichte sie ihr. Als sie und ihre Schwestern noch Kinder waren, war die Strickerei der Faden gewesen, der sie aneinander band. Alles, was daran gut oder schlecht war, war ihr gemeinsamer Bezugspunkt, der Mittelpunkt ihrer Welt. Doch als sie älter wurden, trieb sie genau das auseinander, was sie in Eintracht hätte zusammenhalten sollen. Bitty schämte sich für die Strickerei, für die Magie, und sie floh mit dem ersten reichen Typen, der ihr ein Ticket nach draußen anbot, aus Tarrytown. Meggie schien zwiegespalten zu sein, was die Magie anging, doch auch sie war gegangen, fest entschlossen, nach ihren eigenen Regeln zu leben und wahrscheinlich sogar diese zu brechen, nur um zu beweisen, dass sie es konnte.
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