Die Wuensche meiner Schwestern
ihres Aufbruchs. Sofapolster wurden angehoben, Kissen heruntergeworfen. Dann tauchte das Spielzeug in einer Sporttasche auf, in der vorher schon dreimal nachgesehen worden war.
Als sie Meggie schließlich die knirschende Holztreppe hinunterschlendern hörte, war Aubrey schon halb verhungert und dachte nur: Endlich. Sie hatte das Mittagessen ausfallen lassen, und nun knurrte ihr der Magen. Als Meggie jedoch in der Wohnzimmertür erschien, erstarrte der Rest der Familie mitten in der Bewegung. Alle sahen sie reglos an.
»Was?«, fragte Meggie.
Sie hielt sich mit einer Hand am Türrahmen fest und trug ein bauschiges fuchsiafarbenes Shirt, das ihr über eine Schulter rutschte. Ihre Leggings reichten ihr bis zu den Schienbeinen. Ein übliches Meggie-Outfit. Doch es war ihr Haar, ihre schockierende neue Frisur, die die Familie sprachlos machte.
»Als ob ihr noch nie jemanden mit gefärbten Haaren gesehen hättet«, sagte Meggie.
»Es ist nur so …« Bitty verstummte.
»… blond!«, rief Aubrey.
Meggies kurzes schwarzes Haarbüschel war verschwunden, und an seiner Stelle ragten nun noch kürzere weißblonde Stacheln in die Luft, die denen des Igels ähnelten, wenn er schmollte. Gestern hätte Meggie noch direkt aus einer Biker-Bar kommen können, »Gothic-Fee« hatte sie es genannt. Heute zeigte sie ihre Achtzigerjahre-Wurzeln – und zwar bis in die Haarspitzen.
Bitty kam mit einem Ruck in Bewegung, warf Carson die Spielkonsole zu und drapierte die Kissen wieder aufdem Sofa. »Kommt schon, Leute. Wir müssen los. Wir haben – hatten – eine Reservierung.«
Doch ihre Kinder bewegten sich auf ihre Tante zu wie Motten zum Licht. »Das ist ja der Hammer«, meinte Carson.
»Sind wir so weit? Hat noch jemand irgendetwas vergessen?«, fragte Bitty.
Etwas später machten sie sich endlich auf den Weg.
Aubrey fiel fast um vor Hunger, als sie sich an ihren Tisch in dem kleinen Gasthaus setzten. Sie war so hungrig, dass sie kurz überlegte, ob die Serviette mit ein wenig Ketchup und Salz nicht vielleicht genießbar wäre. Die Kellnerin eilte jedoch geschäftig von Tisch zu Tisch, und so harrte Aubrey gequält vor der aufgeklappten Speisekarte aus. Die Beschreibung jedes einzelnen Gerichts (Gemischtes Gemüse mit Kräutersauce; Burger mit Pommes) stand für sie auf einer Stufe mit den erlesensten Gedichten, die je verfasst wurden.
Endlich kam die Kellnerin an ihren Tisch. Nach einem langen Frage-und-Antwort-Spiel und ebenso langem Hin-und-her-Überlegen entschied sich Meggie für ein fruchtiges, halbgefrorenes Gebräu namens The Vampire Barnabas . Bitty bestellte eine Weißweinschorle, Aubrey ein Pils aus einer kleinen Brauerei. Sie hatten so lange gewartet, dass die Kellnerin auch gleich ihre Essensbestellung aufnahm. Als sie von ihrem Notizblock aufsah, streifte ihr Blick Aubreys Gesicht.
»Hey – sind Sie diese Strickerin?«
»Oh, ja.«
»Ach. Was sagt man dazu!« Die Kellnerin klopfte mit ihrem Bleistift auf den Block.
»Woher wussten Sie das?«, fragte Bitty.
Die Kellnerin senkte verlegen den Kopf. »Diese Augen. Sie sind noch blauer, als alle sagen – aber schön, natürlich. In gewisser Weise.«
Aubrey bedankte sich, auch wenn ihr bewusst war, dass ihre Augen weniger schön als ganz schön schrecklich waren.
»Das mit Mariah tut mir leid«, fuhr die Kellnerin fort.
»Danke«, erwiderte Aubrey, und fügte in Gedanken hinzu: Und nun bitte, lieber Gott im Himmel, bring uns etwas zu essen.
Doch die Kellnerin blieb reglos stehen und zog die Stirn in Falten, als führte sie ein für sie allein hörbares Streitgespräch mit sich selbst. »Ich sollte es euch wohl sagen. Wisst ihr, dass ich letztes Jahr in der Strickerei war? Ich habe mit Mariah gesprochen. Ich war … es gab ein paar Probleme mit meinem Exmann.«
Aubreys Muskeln verspannten sich. Die Kellnerin wurde emotional, und ihre Augen waren schon gefährlich gerötet. Sie sprach flüsternd weiter: »Ich weiß nicht, was ich ohne Mariah getan hätte. Er hat keinen Unterhalt gezahlt, und ich wusste nicht, wie ich meine Kinder ernähren sollte. Aber Mariah … nun, wie auch immer. Sie hat mir einen Bierflaschenkühler gestrickt. Ist das nicht lustig? Es hat jedenfalls gewirkt. Und ich weiß wirklich nicht, was ich andernfalls getan hätte.«
Aubrey nickte erleichtert, da sie – zumindest dieses eine Mal – nicht wieder für einen fehlgeschlagenen Zauber verantwortlich gemacht wurde. Weil die Frau den Tränen nahe war, nahm Aubrey sie kurz in den Arm.
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