Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Würde der Toten (German Edition)

Die Würde der Toten (German Edition)

Titel: Die Würde der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Pons
Vom Netzwerk:
der Geschichte erzählen will, ehe er … auch hinüber ist. Er kann ja wohl nicht mehr ganz taufrisch sein.«
    Adrian bemühte sich um ein Lachen und hörte Katja aufatmen.
    »Das wird also ein einmaliges Gespräch? Dann bringst du das am besten wirklich schnell über die Bühne, und damit ist das Thema hoffentlich erledigt, ein für alle Mal. Es ist Zeit, dass du endlich an dich denkst. An uns. Ich meine, du hast dich mit Elisabeth nie vertragen und dich trotzdem dauernd um sie gekümmert.«
    Viel zu oft, sie hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihr das ein Dorn im Auge war. Sicher wartete sie auf seine Zustimmung, aber er schwieg.
    »Willst du mir einen Schrecken einjagen, oder was ist los? Sentimentalität war nie deine starke Seite, und jetzt klingt es fast, als wolltest du plötzlich auf Familie machen. Verrückt genug, dass du Elisabeths Geschwister zur Beerdigung einladen willst, die sich nie um sie geschert haben. Und nun hast du also vor, dir auch noch einen senilen alten Mann aufzuladen? Du weißt nichts über ihn, oder? Der braucht vielleicht jemanden, der ihn durchfüttert, oder er nistet sich am Ende in ihrer Wohnung ein.«
    Im Haus gegenüber wurde das Licht eingeschaltet. Eine Familie betrat die gemeinsame Wohnung. Mutter, Vater, Kind. Adrian erkannte keine Details, aber die Gesten verrieten ein lebhaftes Gespräch. Lachen. Sie hängten ihre Jacken an die Garderobe und die Eltern küssten sich, während das Kind im Nebenzimmer verschwand. Sie küssten sich lange. Zärtlich.
    »Adrian? Bist du noch da?«
    Er drehte der fremden Idylle den Rücken zu. »Ja.«
    »Was wirst du tun?«
    »Was ich gesagt habe. Den Mann treffen. Die Einladungen für die Trauerfeier hat Henry schon verschickt.« Für einen Augenblick hielt er die Luft an, zog in Erwartung eines neuerlichen Wutausbruchs den Kopf zwischen die Schultern. Als dieser ausblieb, sprach er weiter. »Die Beerdigung ist am Mittwoch, morgens um elf. Wirst du auch da sein?«
    »Natürlich. Aber ich werde nicht mit deiner sogenannten Familie reden! Ich komme deinetwegen. Nur deinetwegen.«
    Er wusste, was sie ihm damit sagen wollte. Und er wusste, dass er ihr nicht würde erklären können, warum er immer noch nicht bereit war, aus Frankfurt wegzugehen. »Ich weiß«, sagte er leise. »Ja, ich weiß, Katja. Gute Nacht.«
    Adrian legte das Telefon beiseite, ohne auf eine Erwiderung zu warten. Er schloss die Augen und lehnte die Stirn an die kalte Fensterscheibe. Das Paar gegenüber küsste weiter.

* * *

    Henry entzündete die Kerzen. Dreizehn Flammen. Aus dem Spiegel blickte ihr ein fremdes und doch vertrautes Gesicht entgegen. Schwarz die Augen, die Lippen, die Haare der Perücke; die Haut so weiß gepudert, dass keine einzige Sommersprosse mehr zu sehen war. An ihren Ohren baumelten Spinnen, ein schwarzer Rüschenrock zur eng geschnürten Korsage und Spitzenhandschuhe vervollständigten ihr Outfit. Das hatte sie sich lange nicht mehr gegönnt. Mephisto maunzte. Er mochte die knisternden Rüschen und strich erwartungsvoll um ihre Knöchel. Sie ließ sich auf ihr Bett fallen, und sofort sprang er auf ihren Schoß, wälzte sich über den Stoff und schloss genießerisch die Augen. Sie lächelte und drehte die Stereoanlage auf volle Lautstärke. Manche Lieder musste man einfach laut hören. Richtig laut. Und mitsingen.
    »Sing child ... sin child ... to make the darkness come.«
    Wie lange würde es diesmal dauern, bis der langweilige Nachbar gegen die Wand trommelte? Einen Song vielleicht. Zwei schaffte sie selten. Trotzdem ein Spiel, das sie nicht lassen konnte. Die tiefe Stimme und der hymnisch-düstere Sound von ASP berührten ihre Seele, verliehen ihr Kraft und Ruhe, ließen sie die Einsamkeit leichter ertragen, die sie am Abend am deutlichsten spürte.

* * *

    Er trat ans Fenster und richtete den Blick nach draußen. An der Hauswand, direkt neben ihm, erleuchtete ein Reklameschild das Dunkel. Gleißendes Blau. Wie er das alles hasste: Dieses Blau, das ihn nicht schlafen ließ, dieses winzige Zimmer, das Schnarchen von nebenan. Er hasste es, ihr auf der Tasche zu liegen, ihre Rat schläge zu hören, ihre fortwährende Angst um ihn, die Geschichten von früher und von der fernen Heimat, die er gar nicht richtig kannte; hasste den Geruch von Zwiebel und Paprika, wenn sie k ochte und wenn sie ihn Laciká nannte, als wäre er noch ein Baby. Aber das sollte bald vorbei sein.
    Er hob die Fäuste vor die Brust und schlug ein paar harte Haken in die

Weitere Kostenlose Bücher