Die Würde der Toten (German Edition)
Außer dem leisen Surren des Motors war nichts zu hören. Nirgends ein beleuchtetes Gebäude, kein Mensch zu sehen. Seine Augen ge wöhnten sich nur langsam an die Dunkelheit. Er näherte sich einem stillgelegten Fabrikgebäude aus rotem Ziegelstein. Zersprungene Scheiben machten die Fenster zu schwarzen Löchern, dunkler als die Nacht. Gleich musste er sein Ziel erreicht haben. Jetzt erst bemerkte er das unbeleuchtete Fahrzeug, das auf Schleichfahrt vor ihm herkroch. Er kniff die Augen zusammen und konzentrierte sich auf den Rückspiegel. Da war noch eins. Seine Kopfhaut kribbelte vor Aufregung. Was, wenn das eine Falle war? Wenn Cem ihn verladen hatte? Seine Hände krallten sich um das Lenkrad, und er zwang sich, ruhig zu atmen. Scheiße. Er war ein Stubenhocker, ein Schreibtischcop. Wieso zum Teufel trieb er sich mitten in der Nacht hier herum und glaubte plötzlich, Bruce Willis spielen zu müssen?
Ruhig, ganz ruhig, ermahnte er sich. Alles nur eine Frage des Ti mings: Gas geben, Steuer einschlagen, wenden, Licht an und ab durch die Mitte. Bis die kapierten, was los war, wäre er weg. Oder auch nicht. Wenn das hier eine Falle war, würde er nicht entkommen.
Der Wagen vor ihm verschwand nach links. Undeutlich erkannte er einen Parkplatz und dann tatsächlich einen Einweiser, der den Fahrzeugen bestimmte Positionen zuwies. Adrian ignorierte seinen Fluchtreflex, rollte auf die ihm zugedachte Fläche und zog den Zündschlüssel ab. Er stieg aus und folgte den anderen Ankömmlingen zum Eingang.
Das Rattern eines vorbeifahrenden Güterzuges füllte die Luft und übertönte die letzten Zweifel.
* * *
Henry löschte den Scheiterhaufen, ehe das Feuer auf die Möbel übergreifen konnte, und stopfte die verschmorten Reste ihrer Vergangenheit in große Plastiksäcke. Dann rollte sie sich auf dem Fußboden zusammen und ergab sich ihrer Verzweiflung und den Tränen.
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Erst nachdem Adrian eine Leibesvisitation hinter sich gebracht hatte, durfte er das Tor passieren. Keine Waffen, kein Alkohol, keine Drogen. Der Gastgeber wünschte eine ruhige Veranstaltung – und wollte lieber selbst an den üblichen Genussmitteln verdienen.
Das Bild, das sich ihm drinnen bot, erinnerte beinahe lächerlich deutlich an amerikanische Gangsterfilme, passend zu der vorhergehenden Inszenierung der Geldübergabe und den Verhaltensregeln.
Man redete nicht über den Fightclub.
Ein konspiratives Gesamtkunstwerk. Zigarrenrauch zog in grauen Schlieren unter den Lampen vorbei, die die hohe Halle nur spärlich beleuchteten. In der Mitte markierte ein greller Scheinwerfer den Kampfplatz. Nichts deutete darauf hin, dass dies alles nur provisorisch eingerichtet war und am nächsten Morgen spurlos verschwunden sein würde. Höchst professionell. Das Publikum hatte sich zum überwiegenden Teil in Schale geworfen. Anzugträger mit langbeinigen Begleiterinnen im kleinen Schwarzen. Erstaunlich viele Frauen. Ihre Blicke taxierten Adrian, und er schlug die Augen nieder, bemühte sich, nicht aufzufallen. Hier traf sich die Unterwelt mit gelangweilten Neureichen, mit abenteuerlustigen Yuppies und pathologischen Spielern. Angezogen vom archaischen Duft der Gewalt, des Verbotenen, des schnellen Geldes.
Adrian grinste unbewusst vor sich hin. Nur »Spiel mir das Lied vom Tod« fehlte noch, oder ein halbseidener Pianomann, auf dessen Instrument sich eine laszive Schönheit räkelte, um den absurden Tarantino-Effekt zu perfektionieren. Eine jähe Veränderung der Geräuschkulisse, als ob alle für eine Sekunde den Atem anhielten, ehe das Stimmengewirr von Neuem und lauter aufbrandete, zwang ihn, seine theoretischen Überlegungen einzustellen.
Der Ringsprecher machte sich bereit, den ersten Kampf einzuläuten. Die letzten Wetten wurden platziert, während die Kontrahenten ihre Plätze einnahmen. Sie strotzten vor Kraft, selbstbewusst, durchtrainiert und zumindest optisch einander ebenbürtig. In der Eröffnungsphase sah Adrian einen ausgeglichenen Boxkampf – nur ohne jede Schutzausrüstung. Es folgten die ersten Kicks. Das Taxieren hatte ein Ende. Die Hiebe wurden härter. Gegen seinen Willen ergriff die kollektive Euphorie auch von Adrian Besitz.
Eine Augenbraue platzte, Blut spritzte bis in die vordere Zuschauerreihe. Das Publikum tobte. Der verletzte Kämpfer zahlte die Schmach umgehend zurück. Aus der halb gebückten Haltung richtete er sich mit einer Drehung auf und stieß seinem Gegner das Knie in den Bauch. Dann hagelte es Schläge in den
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