Die Würde der Toten (German Edition)
Teppichlager, Hausmeisterservice. Adrian stöhnte. So viele Möglichkeiten, so viele Daten, und er hatte nicht den kleinsten Schimmer, welche von Bedeutung waren.
Wild hüpften seine Finger über die Tastatur. Keine weiteren relevanten Informationen. Trotzdem konnte er nicht aufhören. Etwas nagte an ihm, als sei er der Lösung ganz nah und nur zu blind, die Zusammenhänge zu erfassen. Er versuchte krampfhaft, sich zu erinnern. Welche Dokumente hatte er zuletzt gesichtet, welche Fenster geöffnet?
Die linke Hand tippte weiter, während die rechte die Tasse mit dem schon längst wieder ausgekühlten Kaffee angelte. In schneller Folge huschten Bilder und Textfetzen über den Bildschirm. Er folgte dem Verlauf der Seitenaufrufe der gesamten vergangenen Woche. Auf der Homepage eines Gebrauchtwagenhändlers blieb er hängen. Wieso war er hier gewesen? Das Gesicht eines Mitarbeiters kam ihm bekannt vor, und er versuchte, die Aufnahme zu vergrößern. Aber die Auflösung war zu schlecht, die groben Pixel brachten ihn nicht weiter. Trotzdem setzte er ein Lesezeichen und druckte das Bild aus. Vielleicht konnte er später etwas damit anfangen.
Einige Seiten, die er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit besucht hatte, übersprang er und landete dann bei der russisch-orthodoxen Friedensgemeinde und damit wieder bei dem Gebrauchtwagenhändler. Kolja Bilanow. Jetzt erinnerte er sich, dass Bilanow der erste Tote gewesen war, den er für Henry überprüft hatte. Der Ukrainer. In dem Artikel aus einem Zeitungsarchiv las er, dass dieser dankend einen großzügigen Scheck für die Renovierung einer Jugend-Begegnungsstätte seiner Kirchengemeinde entgegengenommen hatte. Adrian wollte gerade wegklicken, als ihm weiter unten im Text etwas ins Auge sprang. Da war plötzlich eine Verbindung, nach der er gar nicht gesucht hatte.
Hastig überflog er die Zeilen. Der Scheck war ausgestellt von dem Unternehmensberater Alfred Westermann. Offenbar spendete dieser gerne an gemeinnützige Einrichtungen. Bevorzugt an solche, die zur Verbrechens-Prävention oder Resozialisierung von zumeist jugendlichen Straftätern geeignet erschienen. Darunter auch das Dragontiger-Sports-Gym von Cem Celebi, in dem László Szebeny trainiert hatte.
Adrian lehnte sich mit offenem Mund zurück und wippte hektisch mit der Rückenlehne seines Bürostuhls. Was zum Kuckuck bedeutete das?
* * *
Das Poster des halbnackten Mädchens hing in Fetzen von der Wand. Zu viele eingesperrte Stunden mit Svetlanas Augen hatten ihren Tribut gefordert. Jürgen zwinkerte nervös. Sein Blick schweifte zur Tür, die noch offen stand. Dort draußen lockte die Freiheit. Er fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und versuchte zu verstehen, was er hörte.
»Jürgen, mein guter alter Freund.«
Westermann tätschelte ihm die Wange; drei kurze, kräftige Klapse. »Du bist doch ein Spieler, ein Glücksritter, ein echter Mann! Willst du wirklich noch länger hier nutzlos herumsitzen und abhängig sein von der Zuverlässigkeit einer Frau?«
Theatralisch streckte Westermann beide Hände aus. An der Tür standen seine Gorillas. Jürgen schaute von einem zum anderen.
»Du weißt, dass du dafür verantwortlich bist, dass László tot ist. Schade, wirklich schade um ihn. Deinetwegen hat er Bilanow betrogen und deinetwegen hat er den Job bei mir angenommen, um dann mich hereinlegen zu wollen.« Er lachte mitleidig. »Dumm, Jürgen, nicht wahr? Bilanow wusste, dass László dein Versteck kennt. Ja, der hat euch beide verraten, mein Junge. Für schnödes Geld war er bereit, euch an mich zu verkaufen. Aber er hat bekommen, was ein Verräter verdient, keine Sorge. László dagegen wollte absolut nicht damit rausrücken, wo du steckst. Eine schmerzhafte Entscheidung. Doch am Ende reden sie alle, jämmerlich. Nur die Russen sind anders, die gehen vor niemandem in die Knie. Selbst wenn du ihnen die Fingernägel schneidest bis zum Ellbogen.«
Er drehte sich zu den Männern an der Tür, musterte sie wohlgefällig und packte dann Rimas im Nacken, den er gut gelaunt schüttelte. »In dir spüre ich das russische Blut deines Vaters pulsieren!«
Jürgen verharrte starr vor Angst auf seinem Platz. Mit zwei schnellen Schritten kehrte Westermann zum Tisch zurück, packte einen Stuhl, knallte ihn auf den Betonboden neben Jürgen, der sich zusammenkrümmte, und setzte sich.
»Also, was sagst du zu meinem Vorschlag? Du kannst es heute noch beenden. Eine todsichere Sache: Du bringst deinen
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