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Die Würde der Toten (German Edition)

Die Würde der Toten (German Edition)

Titel: Die Würde der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Pons
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persönlichen Einsatz, kein Geld, und wenn du gewinnst, sind alle deine Schulden getilgt. Auf einen Schlag. Ein Spiel.« Sein Zeigefinger schnellte vor Jürgens Augen in die Höhe. »Ein Spiel, Jürgen, und du bist ein freier Mann!«
    Er winkte Vytautas näher, der auf sein Kopfnicken hin eine feine Linie Koks auf den Tisch rieseln ließ. Jürgens Blick klebte an dem verheißungsvollen Pulver.
    »Das – und noch mehr, wenn du in den Wettkampf einsteigst. Ein großzügiges Angebot für meinen Kumpel.«
    Jürgen blinzelte, unfähig den Kopf zu drehen oder zu antworten. Westermann klopfte ihm auffordernd auf die Schulter.
    »Na los, nur zu!« Mit heiserem Lachen kommentierte er Jürgens lächerlich verrenkten Körper, als dieser gierig schnüffelnd mit der Nase über die Tischplatte rutschte.
    Keuchend richtete Jürgen sich auf und wischte sich mit dem Handrücken durchs Gesicht.
    Westermann zog ihn ein wenig am verbliebenen Ohr. »Jürgen«, flüsterte er gedehnt und neigte sich ihm zu. »Ich bin ein guter Mensch, nicht wahr?«

* * *

    Henry wagte sich nicht vor die Tür. Mit angezogenen Beinen hockte sie in ihrem Bett, mit dem Messer und dem eingeschalteten Radio neben sich, bis sie endlich die erlösende Nachricht über eine Leiche im Main hörte. Mission erfüllt. Spät erfüllt. Zu spät erfüllt? Sie zog den Stecker, und das Radio schwieg. Unschlüssig drehte sie die Klinge in der Hand.
    »Der Tod ist kein Spiel, Mephisto, wir können nicht Regie führen!«
    Barfuß lief sie in die Küche und schaute sich um, als wäre sie eine Fremde.
    »Sieh dir das an, Mephisto!«
    Mit ausgebreiteten Armen drehte sie sich um sich selbst. »Lügen! Nichts als Lügen!«
    Sie nahm ein Foto von der Wand. Der rote Todesengel. Das war die Henry, die sie einmal gewesen war, mit siebzehn, die nichts spannender finden konnte als den Tod. Sie riss das Bild in kleine Fetzen, die vor dem Kater zu Boden segelten.
    »Ich bin eine Verräterin, eine Heuchlerin. Goth zu sein bedeu tet, hinter die Dinge zu sehen. Das Wesen des Lebens und des Todes zu suchen, um zu verstehen! Letzte Woche, was habe ich da gemacht? Zwei Stunden lang habe ich mich im Badezimmer herausgeputzt, bis nichts mehr von mir übrig war. In schwarzes Leder und Samt verpackt bin ich über die Zeil geschlendert und habe es genossen, dass mich alle anstarrten. Weil ich so was Be sonderes bin, so anders. Ein Freak, eine Satansbraut! Und nac h der Party habe ich den anderen genau das vorgeworfen. So eine Scheiße, Mephisto! Früher habe ich darum gekämpft, dass man meine Meinung akzeptiert, und jetzt trete ich all meine Prinzipien in den Dreck! Verkaufe mich an einen Mörder, diene einem lebendigen Satan. Und warum? Nicht für Jürgen, sondern für mich! Weil ich eine irre Angst davor habe, er könnte mir mein Leben nehmen. Dieses bisschen Leben, von dem ich immer geglaubt habe, es wäre mir nicht so wichtig. Wir leben und wir sterben, so ist das nun mal, und in der Zeit dazwischen sollten wir das Leben als vergängliches Geschenk feiern. Memento mori!«
    Mit einem zornigen Schlag fegte sie ihre Totenkopfsammlung von einem Regalbrett.
    »Zurschaustellung!«
    Das Skelett aus dem Flur folgte einer schwarzen Pestmaske auf den Küchenboden und Henry stürmte weiter ins Schlafzimmer, riss die Tür des Kleiderschranks auf und zerrte ihre Lieblingsstücke heraus. Schwarzer Lack, schwarzes Leder, Rüschen.
    »Eitelkeit!«, brüllte sie und schleppte die Wäsche zu dem Haufen. Sie machte Musik an, entzündete eine Kerze und setzte sich neben die Relikte ihrer tiefsten Überzeugung.
    »Death awaits you, Mephisto. Das ist die Wahrheit, und dabei bleibt es. Aber der Tod kommt unverstellt, er braucht keine Verkleidung, keine Show, er braucht keine Huldigung!« Sie kippte die Kerze zur Seite um und beobachtete die züngelnden Flammen.
    »Der Tod braucht gar nichts, auch nicht unsere Erkenntnis. Er ist gewiss und er ist unbestechlich. Aber was ist mit unserem Leben? Die Würde des Menschen ist unantastbar. Im Leben wie im Tod. Das habe ich immer geglaubt und danach gehandelt. Das ist mein Leben. Aber ich habe eine Leiche geschändet und meine Moral mit ihr im Main versenkt. Durch meine Feigheit setze ich mehr als nur mein eigenes Leben aufs Spiel. Was, verdammt noch mal, soll ich denn jetzt bloß tun?«

* * *

    Adrian hielt sich genau an die Anweisungen, bog in das Industriegebiet ein und schaltete die Scheinwerfer aus. Der Wagen bewegte sich nur noch in Schrittgeschwindigkeit vorwärts.

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