Die Wundärztin
dass du der beste Feldscher weit und breit bist. Sogar einen Toten erweckst du uns noch zum Leben, damit er nachher am Galgen zappelt!« Er lachte.
Magdalena sah zu Meister Johann. Der würdigte Seume keines Blickes, sondern blickte starr geradeaus. Von der Matte drang leichtes Stöhnen an ihr Ohr. Offensichtlich nahm Eric trotz des Fiebers wahr, was um ihn herum geschah. Inzwischen war auch der zweite Steckenknecht zum Profos getreten und griff ihm unter die Arme. Widerstandslos ließ er geschehen, dass sie ihn wie eine Puppe umdrehten und hinausführten. Mit einem Schlag auf die Schultern bedeutete er ihnen jedoch, noch einmal anzuhalten. Schwerfällig drehte er den massigen Kopf halb über die Schulter zurück und brüllte: »Vergiss nie, was du mir schuldig bist, du hochverehrter Heilkünstler! Nicht nur für deine Anna hast du noch eine Rechnung bei mir offen.«
Verächtlich spuckte er aus und brach in höhnisches Lachen aus. Erst im zweiten Anlauf gelang es den Männern, ihn zum endgültigen Umdrehen zu bewegen. Mit staksigen Schritten verließ er das Zelt. Er sprach so laut auf die Knechte ein, dass auch Magdalena die Worte verstand: »Schauen wir uns den Galgen an, ob er hoch genug steht. Alle müssen sehen können, wie dieser feige Mörder daran baumelt.«
Die Knechte schienen ihm den Wunsch zu erfüllen. Magdalena vernahm die Befehle, die den Zimmerleuten auf dem Richtplatz Einhalt im Hämmern geboten. In der plötzlich einkehrenden Stille hielt Magdalena den Atem an. Auch Meister Johann verfolgte das Treiben draußen gebannt. Kerzengerade richtete er sich auf und legte den Kopf in den Nacken, als könne er dadurch besser hören. Selbst Erics Stöhnen verklang. Die Augen hielt er fest geschlossen, der eben noch von Krämpfen geschüttelte Körper lag reglos. In der Ferne bellte ein Hund, ein zweiter antwortete. Ansonsten schien alles Leben erstarrt, selbst das Trommeln der Regentropfen war verstummt.
Der Morgen dämmerte. Unter der Zeltplane wurden die Konturen deutlicher, die Abstufungen der Grautöne waren besser zu unterscheiden. Bald brach der Tag an, und Erics letzte Stunde rückte näher. Magdalenas Augen füllten sich mit Tränen. Nicht einmal der Bernstein, den sie mit der rechten Hand umfasste, wollte ihr Kraft spenden.
Draußen auf dem Richtplatz brüllte Seume. Ein anderer erwiderte leise etwas, was der dröhnende Bass scharf zurückwies. Dann hörte man ein Poltern. Jemand schrie auf, im nächsten Moment krachte Holz, ein weiterer Schrei erklang. Das Poltern setzte sich fort.
»Potz Blitz!« Seumes lautstarkes Fluchen übertraf alles. Ein dumpfes Aufschlagen folgte. Man hörte Holz ächzen und splittern, ein tosender Lärm setzte ein.
Die spitzen Schreie kündeten von Ungeheuerlichem. Im nächsten Augenblick gingen sie in weiterem Krachen und Zersplittern unter. Entsetzt sahen sich Magdalena und Meister Johann an. Bevor sie etwas sagen konnte, sprang der Feldscher auf und stürzte hinaus. Sie warf einen Blick auf Eric. Das Fieber hielt ihn so fest in seinen Klauen, dass er nichts von dem Getöse mitbekam. Hastig tupfte sie ihm über die nasse Stirn, dann erst rannte sie Meister Johann hinterher.
Eisiger Wind schlug ihr vor dem Zelt entgegen. Sie lehnte den Oberkörper nach vorn, um den Regen nicht direkt im Gesicht zu spüren. Nach wenigen Schritten bereits war sie triefend nass. An den Schuhen klebte der Schlamm, aus den Haaren tropfte es. Noch hing triste Dämmerung über dem Lager. Dennoch drängten die Menschen aus allen Ecken herbei und eilten in dieselbe Richtung wie Magdalena. Der Lärm und das Geschrei hatten sie neugierig gemacht. Sich in der ungeduldigen Menge zu behaupten bereitete Magdalena große Mühe. Einmal spürte sie einen Ellbogen im Leib, ein anderes Mal riss sie jemand zur Seite oder schob sie von hinten rücksichtslos gegen ihren Vordermann. Weil die meisten sie um einen Kopf oder mehr überragten, sah sie lange nicht, was sich vor ihr tat. Die breiten Rücken verdeckten ihr die Sicht, der vom Regen durchweichte Boden behinderte sie beim Gehen. Immer wieder blieb sie mit den viel zu dünnen Lederschuhen im kalten Morast stecken.
Endlich erreichte sie den Richtplatz. Die Menge geriet ins Stocken. Das war ihr Vorteil. Zierlich, wie sie war, schlängelte sie sich flink zwischen den Glotzenden hindurch. Vorn angekommen, bot sich ihr ein chaotisches Bild: Der in der Nacht aufgebaute Galgen war mitsamt dem kunstvoll gezimmerten Podest eingestürzt.
Was war mit Hagen
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