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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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versetzt haben. Das hatte den Vorteil, dass er nicht einmal zuckte, wenn sie mit der Nadel tief in die empfindlich dünne Haut unterhalb der Augenbraue eindrang. Irgendwann setzte sie tatsächlich den letzten Stich, verknotete den Faden und schnitt die überhängenden Enden ab. Zufrieden betrachtete sie ihr Werk, ging erst dann daran, die Paste aus Leinöl, roter Mennige, Bleiweiß und Seife darauf zu verteilen. Vom Auge war danach nichts mehr zu sehen. Vorsichtig legte sie den Verband an und hob sacht Seumes Schädel an, um das Leinen auch im Nacken glatt zu ziehen.
    »Den kennt man nicht wieder!«, entfuhr es dem kleineren der beiden Steckenknechte, als sie auch die Verletzung am Hals versorgt hatte und sich den Rippenbrüchen am Bauch zuwenden wollte. Kurz blickte sie auf. Es stimmte: Der Verband verdeckte nahezu das ganze Gesicht, auch vom stiernackigen Hals war wenig zu sehen. Zu vertraut war ihr wohl der Anblick, als dass sie sich noch Gedanken darüber machte. In dem Moment kam ihr eine Idee, und sie lächelte Rupprecht an. »Vielleicht sollte man ihm einen Zettel anheften. Nicht dass am Ende der ehrbare Profos mit einem der anderen Verwundeten verwechselt wird.«
    Die verschiedenen Rippen- und Knochenbrüche waren rasch versorgt, selbst das Einrenken des linken Beines und das Schienen des rechten stellte keine Schwierigkeit dar. Der Verletzte gab keinen Mucks von sich, lediglich das stete Auf und Ab des Brustkorbs versicherte Magdalena, dass noch Leben in ihm steckte. Endlich verknotete sie das Leinen am letzten Verband.
    »Gut gemacht!«, hörte sie hinter sich eine wohlbekannte Stimme. Meister Johann war zurück. Als sie sich zu ihm umdrehte, erschrak sie: Sein sonst so akkurat frisiertes, graumeliertes Haar klebte strähnig am Schädel, Hose und Wams waren schlammverdreckt. Kaum konnte er sich noch auf den Beinen halten. Die Augen glänzten fiebrig, die Hände zitterten nicht weniger als vorhin. Schwankend näherte er sich dem Tisch. Der Alkoholdunst, den er ausatmete, hätte ausgereicht, den Patienten zu betäuben. Magdalena konnte ihre Sorge nicht verbergen. »Wo warst du?«
    Statt einer Antwort schob Meister Johann sie vom Tisch fort und betrachtete den bewusstlosen Seume. »Na, du alter Hundsfott! Hat es dich endlich auch einmal gründlich erwischt«, knurrte er, dann nickte er Magdalena zu. Seine trüben Augen blickten dabei erstaunlich klar. Eine schwere Last schien von ihm abzufallen. Auch ohne weitere Worte verstand sie, was er meinte. Sein alter Spruch fiel ihr ein: »Feldscher müssen Leben retten, nicht verderben.«
    »Geht weg, ich kümmere mich um ihn.« Wild fuchtelte er mit dem linken Arm durch die Luft. Als Rupprecht und sie keine Anstalten machten, der Anweisung zu folgen, setzte er unwirsch nach: »Habt ihr nicht verstanden? Ich brauche euch hier nicht. Haut endlich ab!«
    Sein Ton machte deutlich, dass er keine Widerrede duldete. Deshalb wagte Magdalena nicht, noch einmal zu Eric hinüberzuschlüpfen, um nach seinem Befinden zu sehen.
    23
    So gern Magdalena sofort zu Elsbeth gestürzt und Carlotta an sich gerissen hätte, so sehr war ihr bewusst, dass sie sich erst einmal Rupprechts weiterer Unterstützung versichern und ihn zudem für ihre neue Idee gewinnen musste. Von Rupprecht hing ihr Schicksal ab. Gewiss würde Roswitha in der Zwischenzeit dafür sorgen, dass Elsbeth ihr Carlotta nicht abspenstig machte.
    Es war nicht leicht, eine Stelle zu finden, an der sie ungestört miteinander reden konnten. Der Regen trieb die Menschen zwar allerorten in die Unterkünfte, und wer trotzdem noch außerhalb seines Zeltes unterwegs war, kannte nur ein Ziel: ins Trockene zu gelangen. Weil das aber gar nicht einfach war, rannten einige seltsame Gestalten umher: Den Oberkörper gegen die Nässe weit nach vorn gebeugt, den Filzhut tief ins Gesicht gezogen oder eine Decke wie ein kleines Zelt über dem Kopf gespannt, hefteten sie sich in der Hoffnung an Magdalenas Fersen, dank ihrer Hilfe einen Unterschlupf zu finden. Mehr als einmal mussten sie handgreiflich werden, um sich dieser unfreiwilligen Kumpane zu erwehren. Triefnass klebten ihnen die Kleider am Leib, die Haare strähnten schwer vom Kopf, als sie sich nur unter dem Vorwand, einem Schwerkranken helfen zu müssen, in ein Zelt flüchten konnten.
    Wider Erwarten stand das Zelt leer. Erschöpft ließ Magdalena sich auf einen Schemel fallen. Rupprecht bückte sich nach einer Decke und legte sie ihr fürsorglich um die Schultern. Ein wohliges

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