Die Wundärztin
Gefühl von Geborgenheit breitete sich in ihr aus. Plötzlich brach sich die aufgestaute Erschöpfung Bahn. Schwer kippte ihr Kopf nach vorn, auch die Augenlider konnte sie nicht mehr länger aufhalten. Sie wollte nur noch schlafen, gründlich ausschlafen und vergessen.
»Du bist völlig verrückt!« Anscheinend hatte Rupprecht nichts von ihrem Zustand bemerkt. Mühsam zwang sie sich, die Augen wieder zu öffnen und ihn anzusehen. Aufgeregt ging er hin und her und sah grübelnd zu Boden, während er sich mit den langen Fingern die dunklen Bartstoppeln am Kinn rieb. Je länger sie ihm zusah, desto kälter wurde ihr. Mit klammen Fingern zog sie die Decke um sich. Die schwere Wolle stank nach ungewaschenem, fremdem Mann. Angewidert hielt sie den Atem an und beschloss, sich auf Rupprecht zu besinnen, während das Prasseln der Regentropfen draußen weiterging, die Welt um sie her in einem grauen, eisig kalten Nebel versank.
»Hast du dir Meister Johann eben angeschaut? Völlig besoffen!« Rupprechts dunkle Augen blitzten.
»Kein Wunder, nach allem, was er in den letzten Stunden durchgemacht hat.« Magdalena war sich bewusst, wie müde ihre Stimme klang.
»Du verteidigst ihn selbst dann noch, wenn wir drei seinetwegen schon mit dem Kopf in der Schlinge unterm Galgen stehen! Hast du überhaupt mitbekommen, dass er Seume vorhin fast hätte krepieren lassen?«
»Die Steckenknechte haben ihn durcheinandergebracht. Und auch du hast ihn gestört. Wie hätte er da in Ruhe die Stiche setzen können?«
Empört schnappte Rupprecht nach Luft. Langsam nur sammelte er sich. »In dem Zustand können wir ihn nicht gebrauchen. So gefährdet er unseren Plan.«
»
Unseren
Plan?« Sie rieb sich erstaunt die Augen. »Weißt du, was du da sagst? Solange du für Stunden verschwindest, ohne dass wir wissen, was du treibst, scheint es keine gemeinsame Sache zu geben.«
»Vertraust du mir etwa nicht?« Aus Rupprechts Mund schlug ihr ein fauliger Atem entgegen. Dass er keine Pfefferminzblätter kaute oder mit Kamille den Mund ausspülte, wunderte sie. Sonst hielt er so viel darauf.
»Was würdest du an meiner Stelle tun?«, fragte sie leise. »Während wir auf dich gewartet und uns Sorgen gemacht haben, sind Seumes Knechte gekommen und haben Eric mitgenommen. Keiner hat gewusst, wo du steckst, aber jedem ist klar, dass du Eric schon in Freiburg nicht ausstehen konntest.«
Beschämt wandte Rupprecht den Kopf ab. Auf einmal tat er ihr leid. Streit brachte sie jetzt am allerwenigsten weiter. Sie mussten zusammenhalten, eine andere Möglichkeit blieb ihnen nicht. »Ich glaube, wir brauchen alle etwas Schlaf. Du wirst sehen, dass es Meister Johann dann auch wieder bessergeht.«
Zunächst reagierte Rupprecht nicht. Fast hätte sie aufgegeben und wäre gegangen, da begann er doch noch zu reden: »Es ist völlig unmöglich, Eric ausgerechnet jetzt fortzuschaffen. Seume liegt direkt neben ihm im selben Zelt.« Als sie etwas erwidern wollte, fiel er ihr ins Wort: »Ihn mit einem Verband unkenntlich zu machen ist noch das Einfachste an der Geschichte. Mit etwas Glück können wir ihn sogar wirklich aus Seumes Zelt schaffen. Das Problem ist, dass Erics Verschwinden nicht zu früh entdeckt werden darf. Deshalb müssen wir einen anderen, ähnlich Verbundenen auf seinen Platz legen. Das aber wird für den armen Burschen übel ausgehen: Gehenkt wird er dafür, anstelle deines geliebten Erics umgebracht! Sag mir nicht im Ernst, dass du das willst.«
»Natürlich nicht!« Jetzt war es an ihr, ungeduldig aufzubrausen. Es ärgerte sie, dass er ihren Plan so missverstanden hatte. »Was bringt es, dem einen das Leben zu retten und einen anderen dafür zu opfern?«
»Noch dazu, wenn er ein feiger Mörder ist.« Wie schnell ihm das von den Lippen kam! Fassungslos starrte sie ihn an. Wenn er das noch immer glaubte, begriff sie nicht, warum er letzte Nacht bereit gewesen war, alles für Erics Rettung zu riskieren.
»Das stimmt nicht.« Mehr als ein heiseres Flüstern brachte sie nicht zustande. Fieberhaft arbeitete es in ihr: Sollte sie Rupprecht erzählen, was sie über Erics Geschäfte mit Seume wusste? Würde ihn das von dessen Unschuld überzeugen? Sie musste es versuchen. In wenigen Worten fasste sie zusammen, was sie vor Seumes Zelt belauscht und kurz darauf von Eric bestätigt bekommen hatte. Rupprecht blieb argwöhnisch.
»Das klingt zu schön, um wahr zu sein: Eric, der Rächer der geknechteten Landbevölkerung! Wie viele der Unsrigen hat er wohl auf
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