Die Wundärztin
gebrauchen.«
»Du willst wirklich mitkommen?« Jetzt war es an Magdalena, zu zaudern. Wahrscheinlich suchte sie gerade nach einer Ausrede, wie sie das im letzten Moment verhindern konnte. Voller Hohn sah Elsbeth, wie sie mit den Fingern über das Mieder tastete. Der Talisman sollte ihr wohl Beistand leisten. Elsbeth kam ein kühner Gedanke – aber nein, nicht einmal den Bernstein wollte sie annehmen, um sich von ihrem Entschluss abbringen zu lassen. Sie wusste zwar noch nicht, was sie tun würde, wenn sie tatsächlich Erics Flucht aus Seumes Zelt entdeckte, doch sie würde in jedem Fall ihren Vorteil daraus ziehen.
Rupprecht raffte bereits das Nötigste zusammen, was sie brauchten, um die Wunden der beiden Patienten zu versorgen. Bevor Magdalena es sich anders überlegte, griff Elsbeth nach ihrem Arm und zog sie und das Kind mit sich hinaus in den Regen. »Schnell, mach schon! Ich habe keine Lust, auf dem Weg ins Offizierslager bis auf die Knochen nass zu werden. Wir sehen uns drüben.«
Sie schlang den Umhang um Kopf und Schultern und eilte voraus. Trotz des Kindes auf den Armen würde Magdalena ihr dicht auf den Fersen bleiben. Ihre Angst war viel zu groß, dass ihre Cousine als Erste bei Seume eintraf und entdeckte, dass Eric geflohen war.
31
Der Weg ans andere Ende des Lagers war Magdalena noch nie so kurz erschienen. Während sie Elsbeth hinterherlief, spielten die Gedanken in ihrem Kopf verrückt. Unablässig suchte sie nach einer Möglichkeit, das sichere Unglück im letzten Augenblick abzuwenden. Elsbeth kannte Eric viel zu gut, als dass sie die List mit dem falschen Toten nicht sofort durchschauen würde. Kein Verband und kein trübes Licht würden sie täuschen können. Warum hatte es so kommen müssen? Sie waren so nah dran gewesen.
Wider Erwarten erreichte Magdalena als Erste Seumes Zelt. Verwundert zögerte sie und blickte sich um, wo Elsbeth blieb. Was bezweckte sie damit? Die ganze Geschichte war auch so Folter genug. Wenige Schritte vor dem Zelt ließ Magdalena Carlotta zu Boden. Neugierig stakte die Kleine weiter, während Magdalena beunruhigt die umliegenden Gassen nach Elsbeth absuchte. Nichts. Das Warten wurde unerträglich.
Seit dem frühen Morgen hatte Magdalena wegen ihres Einsatzes im Lazarettzelt sowohl Seume als auch den falschen Toten in der Obhut der beiden Steckenknechte zurücklassen müssen. Um zu verhindern, dass diese während ihrer Abwesenheit allzu gründlich nach dem Verletzten schauten und seinen Tod zu früh entdeckten, hatte sie behauptet, er schlafe fest und brauche völlige Ruhe. Aber hatten sich die beiden an ihre Anweisung gehalten? Längst musste der süßliche Geruch des Leichnams durch die Ritzen des Vorhangs gedrungen sein, schließlich war er bereits seit dem Vortag tot. Magdalena war der penetrante Geruch vertraut. Erst beim Operieren vorhin hatte er sie wieder eingehüllt. Doch für andere war er oft unangenehm und deshalb umso auffälliger.
Carlotta wackelte auf ihren krummen Beinchen stolz zu ihr und zeigte aufgeregt in die Luft. Zwei große, schwarze Krähen kreisten am Himmel. Offenbar gefielen ihr die unheilverkündenden Vögel. Magdalena schauderte. Sie sollte nicht zu viel auf solche Dinge geben. Wenn sie Glück hatte, war seit dem Morgengrauen genug Branntwein die Kehlen Seumes und seiner Männer hinuntergeflossen, um sie von dem Verwesungsgeruch abzulenken. Wenn sie Pech hatte, fragten sie sich gerade, warum ein so erfahrener Feldscher wie Meister Johann es nicht eher bemerkt hatte, dass Eric seit Stunden tot war, und begannen, der Sache auf den Grund zu gehen. Ihre einzige Chance bestand darin, dass Elsbeth sich entweder täuschen ließ oder das Spiel mitspielte. Wenn sie beide den Toten für Eric ausgaben, wäre die Sache gewonnen. Niemand konnte überzeugender behaupten, der Mann auf der Matte wäre Eric, als sie beide!
Patsch! Carlotta war in eine Pfütze geplumpst. Nach einem kurzen Augenblick des Schrecks rappelte sie sich auf und brüllte los. Gleich war Magdalena bei ihr, hob sie hoch, wickelte sie in den Umhang und schaukelte sie beruhigend auf der Hüfte. Zufrieden über ihre Nähe, lehnte die Kleine ihr schlammverschmiertes Gesicht an ihre Schulter und steckte den Daumen in den Mund. Es gab kein Zurück. Magdalena musste sich in ihr Schicksal fügen, was auch immer es für sie bereithielt. Aufgewühlt legte sie die kurze Strecke zum Zelt zurück. An der letzten Ecke hielt sie noch einmal Ausschau nach Elsbeth, erspähte sie einige Zelte
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