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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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und zog ihn am Arm, damit er schneller lief. »Das Einzige, was ich derzeit fürchte, ist, dass wir beide schon viel zu lang in festen Mauern hausen. Ganz verweichlicht sind wir schon. Sieh dich nur an: Ein rechter Stubenhocker bist du geworden, weder an Regen noch Sturm oder Kälte wirklich gewohnt. Wie willst du je wieder draußen im Zelt überleben? Oder rechnest du ernsthaft damit, künftig nur noch in einem Haus mit vier Wänden und festem Dach zu leben?«
    Sie lachte, als sie sein verdutztes Gesicht sah. Langsam kehrten ihre Lebensgeister zurück. Die grauen Nebelschwaden um sie herum lichteten sich. Vergnügt wandte Magdalena sich nach rechts, die leichte Steigung hinauf. Das schlammige Regenwasser floss ihnen unablässig entgegen. Sie mussten über Pfützen springen, kraterartigen Schlaglöchern ausweichen und grobe Steine umgehen, die mitten auf der Straße lagen. Fuhrwerke kamen ohnehin keine mehr durch. Die einst so berühmte Salzstraße wurde nur mehr von den Pikenieren und Kürassieren der verschiedenen Heere bevölkert. Bald zeugte das dunkle Leder an den Stiefeln, wie viel Wasser sie schon aufgenommen hatten. Bei jedem Schritt entfuhr ihnen ein Quietschen. Schweigend liefen Magdalena und Rupprecht nebeneinander her. Rupprechts Augen waren ganz auf den Weg gerichtet. Seine Miene verriet nichts über das, was hinter seiner Stirn vorging. Magdalenas Herz klopfte heftig. Sie platzte fast vor Anspannung. Wie würde er wohl reagieren?
    20
    Von ihren früheren Aufenthalten in Königsberg hätte ihnen der Weg vertraut sein sollen, dennoch ähnelte er in nichts mehr dem Anblick von einst. Was die verschiedenen Feuer in den letzten Jahren nicht vernichtet hatten, hatte die Wut der marodierenden Soldaten gleich welcher Couleur erledigt. Zahlreiche Häuser waren bis auf die Grundmauern niedergebrannt oder der Zerstörungswut der durchmarschierenden Truppen zum Opfer gefallen. Einzig die Burg thronte weiterhin unbeschadet am südöstlichen Ende der Stadt. Trotzig versuchte sie den Anschein zu erwecken, als drohte ihr keinerlei irdische Gefahr.
    Kaum hatten Magdalena und Rupprecht das Unfinder Tor passiert, um auf den Marktplatz zu gelangen, trat ihnen eine dunkelhaarige Frau entgegen, ein kleines, ebenfalls dunkelhaariges Mädchen an der Hand. Es mochte nicht viel älter sein als Carlotta. Dürr und bleich, mit zwei riesigen Augen in tiefen Höhlen über hohlen Wangen, stierte die fremde Frau sie an, während das Kind hinter ihrem Rücken Schutz suchte. Der Blick aus den Augen der Frau war wirr. Ein wehender, heller Kittel verlieh ihr das Aussehen eines Racheengels oder eines Geistes. Auch das Mädchen war nur notdürftig in Fetzen gehüllt und fror erbärmlich, wie die blau angelaufenen Ärmchen und das heftige Zittern verrieten. Magdalena und Rupprecht wechselten entsetzte Blicke, wahrscheinlich dachten sie dasselbe. Wie knapp war Magdalena einem ähnlichen Schicksal entronnen. Und was war mit Elsbeth? Wenn Eric nicht rechtzeitig auf die Beine gekommen war, hatte sie der Grausamkeit des Krieges außer ihrem losen Mundwerk nichts entgegenzusetzen.
    »Hunger!«, presste die Frau aus dem zahnlosen Mund hervor und streckte ihnen die offene Fläche der linken Hand entgegen. »Kinder schreien!«
    Als hätte sie damit gerechnet, kramte Magdalena in den Falten ihres Rocks und zog einen Kanten Brot heraus. Gestern war ihr die Frau zum ersten Mal begegnet, da aber hatte sie nichts bei sich gehabt. Das machte sie nun wieder wett. Rasch legte sie ihr das Brot auf die Hand und drückte die Finger zusammen. Rupprecht hatte die Größe des Stücks dennoch bemerkt. »Woher hast du das Brot? Gleich ein so riesiges Stück! Bist du verrückt?« Obwohl sie ein so feudales Quartier gefunden hatten, mussten auch sie sich mit wässrigen Suppen und spärlichsten Brotrationen zufriedengeben. Gegen leere Vorratskeller konnte auch der frühere Stadtkommandant nichts ausrichten.
    »Reg dich nicht auf. Es ist meine Ration!«, beruhigte Magdalena Rupprecht und zog ihn weiter. »Noch haben wir zu jeder Mahlzeit etwas auf dem Tisch stehen. Also sollten wir ruhig mit denen teilen, die weniger haben. Es wird uns trotzdem an nichts mangeln. Denk an Carlotta und Elsbeth. Hoffentlich finden sie ebenfalls großzügige Helfer in der Not.«
    Direkt hinter dem Tor hatten sie ihr Ziel erreicht. Ein einsamer Hahn querte ihren Weg. Der viel zu lange Hals des Federviehs ruckte im Rhythmus der Schritte vor und zurück. Hoheitsvoll wusste er die roten Krallen

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