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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Nasenwurzel eingegraben, das klare Blau seiner Augen ist lang schon verschwunden. Auch die Grübchen um den Mund sind nicht mehr da. Lachen kann er sowieso nicht mehr, nicht mal, wenn er die kleine Carlotta auf dem Schoß hat. Es ist schrecklich! Fehlt nur, dass ihm die Haare grau werden. Dabei ist er kaum älter als Mitte zwanzig. Und Hände hat er auch auf einmal wie ein Großvater. Fahl und verbraucht sehen die aus, zittern wie Espenlaub. Kann natürlich daran liegen, dass er nichts mehr mit ihnen anzufangen weiß. Ausgerechnet Eric, so ein gestandenes, kluges Mannsbild!
    Gerade mal ein Jahr ist es her, dass er uns den Heuschober draußen hergerichtet hat, dass er wie neu ist. Und jetzt? Nicht mal einen Nagel hat er eingeschlagen, seit er vor Wochen mit dir und dem Kind auf den Hof gefahren ist. Kein Brett hat er gezimmert oder eine schiefe Tür gerichtet. Kein Wunder: Erst sucht er drüben in Rothenburg tagelang nach Magdalena und dem zweiten Feldscher, schleicht bei größter Gefahr für Leib und Leben durch die Gassen, und dann sagst du ihm, Magdalena wäre tot! Also war alles, was er getan hat, umsonst.«
    Berta schüttelte den Kopf. Von oben sah sie anklagend auf Elsbeth herab. Elsbeth erschrak über die Deutlichkeit, mit der sie die einzelnen Gesichtszüge auf einmal vor Augen hatte. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass die Alte an ihr Bett zurückgekehrt war. Das hohe Fieber ließ die Abstände zwischen Wachen und Träumen kürzer werden, vermischte mehr und mehr ihre Wahrnehmungen. Vielleicht war auch das gerade nur ein böses Hirngespinst? Müde schloss sie die Augen. Sie ertrug es nicht, dieses Gesicht so nah vor sich zu haben.
    »Wenigstens hat es aufgehört zu regnen.« Berta tat so, als bemerkte sie nicht, wie es um Elsbeth stand, und redete ungerührt weiter. »Nicht dass er auch noch krank wird. Reicht gerade, dass du nicht mehr aus dem Bett rauskommst.«
    Ohne Vorwarnung schlug sie die Bettdecke zurück und schob das leinene Hemd hoch. Elsbeth war nicht in der Lage, schnell genug ihre Blöße mit den Händen zu bedecken. Ungeniert wanderte Bertas Blick über ihren Leib. Elsbeth kniff die Lippen zusammen und sah zur Seite. Sie ahnte, wie erbärmlich sie aussah. Die wochenlange Krankheit hatte sie abmagern lassen. Die einst so drallen Brüste waren zusammengeschrumpelt wie welkes Obst aus dem Vorjahr. Von den prächtigen Rundungen um Hüfte und Schenkel war nichts mehr zu erahnen. Spitz ragten die Knochen hervor, ließen jede Rippe einzeln erkennen. Rote Flecken übersäten die Haut. Elsbeth stöhnte auf, als sie Bertas eiskalte Finger darauf spürte. Unsanft zerrte die Alte an ihr, bis sie ganz auf der Seite lag. »Aua!« Zu mehr als einem verzweifelten Aufschrei war sie nicht mehr fähig. Sie keuchte und schnaufte, brachte nicht einmal ein Husten zustande, obwohl der Schleim ihr den Atem nahm. Schon tasteten Bertas Finger über die wunden Stellen am Rücken, die vom wochenlangen Liegen rührten. Elsbeths Protest wurde schwächer, obwohl das Drücken und Abtasten weiterhin schmerzte.
    Lautlos rannen ihr die Tränen über die Wangen, während Berta weiterplapperte: »Das ist nicht allein die Franzosenkrankheit. Mit der könntest du gut noch ein paar Jahre leben. Dein Pech ist, dass dich das Fieber gar nicht mehr loslässt. Dass du ausgerechnet in dem Zustand tagelang im Regen gehockt hast, statt irgendwo im Trockenen gepflegt zu werden, ist dir wohl tiefer in die Knochen gefahren, als du dir vorstellen kannst. Seit deiner Ankunft habe ich Eric zuliebe zwar alles getan, um dir zu helfen. Genutzt hat es aber nichts. Lang wird es wohl nicht mehr dauern.«
    Sie nahm einen Tiegel Salbe vom Schemel und langte tief mit den Fingern hinein. Aus den Augenwinkeln beobachtete Elsbeth, wie sie den spröden, gräulichen Hirschtalg zwischen den Fingern knetete, bevor sie ihr damit den Rücken einstrich. Dass die Fieberschübe sie ausgerechnet in solchen Momenten im Stich ließen! Als wäre es Absicht, ihr Leiden zu verstärken, erlebte sie Bertas Behandlungen stets bei vollem Bewusstsein, sah jedes verächtliche Mienenspiel auf dem Gesicht der Alten tausendfach verstärkt vor sich. Nicht einmal ins Husten konnte sie sich flüchten. Mitleidlos erfolgten Bertas Handgriffe, ohne Rücksicht darauf, dass sie vor Schmerzen aufstöhnte. Ruppig drehte Berta sie anschließend wieder auf den Rücken und sah abermals von oben auf sie herab. Noch immer konnte Elsbeth sich nicht in erlösende Fieberträume retten, noch immer sah

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