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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Erics Oberkörper schoss in die Höhe, und das mitten unter der Operation! Mund und Augen weit aufgerissen, schrie er wie wahnsinnig vor Schmerzen. Meister Johann versuchte, ihn wieder hinunterzudrücken, Rupprecht zappelte mit der Lampe, unschlüssig, was wichtiger war: weiter für ausreichend Helligkeit sorgen oder dem Feldscher beispringen. Entsetzt starrte Magdalena auf den offenen Bauch, das viele Blut. Die Wunde drohte durch die Bewegung immer weiter aufzureißen. Eric verblutete, und sie hatte Schuld daran!
    Patsch! Eine Ohrfeige klatschte ihr ins Gesicht. Jäh erwachte sie aus der Erstarrung, Rupprechts wutverzerrtes Gesicht dicht vor Augen. Endlich besann sie sich wieder auf die Wunde vor sich. Aus den Augenwinkeln äugte sie ein letztes Mal in ihren Ausschnitt. Der Bernstein war verschwunden. Erneut wurde Erics Stöhnen lauter, sein Kopf bewegte sich rascher hin und her. Ihre Hände zitterten wieder. Kaum konnte sie die Pinzette halten. Sie schloss die Augen, zählte bis zehn, bat den Allmächtigen und sämtliche Engel und Heiligen um Beistand. Schwer atmend machte sie sich daran, die Arbeit fortzusetzen. Was nun allein zählte, war, die Wunde zu säubern und zu verschließen.
    »Fertig!« Erschöpft richtete sie sich auf und legte Faden und Nadel beiseite. Ihr Blick fiel auf Rupprecht. Stumm hielt er die Lampe. Sie sah zum Feldscher. Einige Atemzüge lang hielten sie den Blick.
    »Das Erste hast du überstanden«, sagte Meister Johann und nickte ihr zu. »Weiter geht es.«
    Zeit zum Ausruhen war noch lange nicht. Sorgfältig wischte sie sich die blutigen Finger an einem Stück Leinen sauber.
    »Meinst du nicht, er hat zu viel Blut verloren?«, machte Rupprecht Anstalten, das gewohnte Gespräch nach einer solchen Prozedur zwischen ihnen dreien in Gang zu setzen.
    »Er wird es schon schaffen.« Das war das Einzige, was sie beizusteuern wusste. Mechanisch begann sie, das Digestivum mit den Fingerkuppen auf die Wunde zu streichen. Mit groben Stichen hatte sie die weit klaffende Haut zu einem Wulst zusammengerafft, wie sie es vor langer Zeit von Meister Johann gelernt hatte. Die riesige Naht zog sich quer über den Bauch und teilte ihn in zwei Hälften. Nach und nach bedeckte sie die blutunterlaufenen Stiche mit der Paste aus Eigelb, Öl und Terpentin, bis nichts mehr von ihnen zu erkennen war. Erst danach nahm Rupprecht die Lampe herunter. Beim abschließenden Verbinden musste er ihr zur Hand gehen, um Erics Leib anzuheben. Endlich war auch das vollbracht. Nicht ohne Stolz betrachtete Magdalena ihr Werk, drückte wie zufällig Erics Hand, die neben dem dick bandagierten Körper lag. Ihr war, als erwiderte er schwach den Druck. Ihr Herz raste. Bang blickte sie zu den beiden Männern hinüber.
    Meister Johann hatte sich aufgerichtet und stützte sich auf Rupprechts Schultern ab. Sie brauchte gar nicht erst nach dem Branntweinschlauch zu sehen, um zu wissen, dass er leer war. Langsam schwankte der Feldscher auf sie zu und streckte die Hände aus, um ihr auf die Beine zu helfen.
    »Gut gemacht, Mädchen.« Sanft tätschelte er ihr die Schulter. »Auf dich ist Verlass. Ein Feldscher muss nun einmal helfen, wenn ihm ein Patient gebracht wird, egal, wer oder was mit ihm ist. Das ist unser Beruf, daran müssen wir uns halten.«
    Er wandte sich halb um und winkte Rupprecht zu sich. Wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, legte er ihnen beiden die Arme um die Schultern und führte sie aus dem Zelt. Die Helligkeit der Nachmittagssonne blendete sie.
    »Den da drinnen werden wir pflegen, bis er wieder ganz gesund ist. Und dann«, Meister Johann atmete tief ein, als müsse er für seine nächsten Worte alle Kraft in seinem müden Körper sammeln, »dann wird ihm Seume für den hinterhältigen Mord an unseren Soldaten die gerechte Strafe zuteilwerden lassen. Aber damit haben wir drei nichts mehr zu tun.«
    Bei jeder Silbe war seine Stimme leiser geworden, bis er am Ende fast nur noch flüsterte. Aus der Ferne drang lautes Geschrei herüber und ließ seine Worte nahezu untergehen. Magdalena hatte dennoch jede Nuance registriert. Auf einmal hielt sie das Spiel nicht mehr aus und platzte heraus: »Hör auf, mir was vorzumachen. Ich weiß längst, dass Eric dort drinnen liegt.«
    Der mächtige Körper Meister Johanns schwankte leicht, was daran liegen mochte, dass Rupprecht sich von ihm löste.
    Mit erstarrtem Gesicht sah er sie beide an. »Warum habt ihr mir nichts davon gesagt?«
    Als Meister Johann nicht antwortete,

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