Die Wundärztin
Rasch ging Magdalena bis zur Matte und stellte den Krug wieder auf. Prüfend sah sie auf Eric. Ein leichtes Zittern durchlief seinen Körper. Mehrmals stöhnte er auf. Sein Gesicht verzog sich vor Schmerzen, die linke Hand fuhr in die Luft. Sanft, aber bestimmt presste sie sie zurück auf die Matte. Sie tupfte ihm den Schweiß von der Stirn. Seine Kiefer mahlten, die Augenlider flackerten. Mehrmals sah es so aus, als wolle er die Augen aufschlagen und mit ihr reden, doch nichts geschah. Endlich entspannten sich seine Züge wieder, das Flattern der Lider hörte auf, und sein Atem wurde gleichmäßig.
Ihre Hand blieb auf der seinen liegen. Wie winzig ihre Finger gegen seine waren! Plötzlich überkamen sie die Erinnerungen an den Sommer in Freiburg. Die lauen Nächte auf dem Heuboden, das gemeinsame Wachen im Mondschein. Zärtlich strich sie ihm über das helle Haar auf dem Handrücken, spürte den weichen Flaum unter ihren Fingerkuppen. Ihre Kehle wurde trocken, der Hals eng. Dennoch kribbelte es wohlig in ihrem Bauch. Kaum merklich zuckte es in Erics Mundwinkeln. Es war ihr, als lächelte er. Die Furchen an seiner Nasenwurzel vertieften sich, dann glätteten sie sich wieder. Ohne weiteres Vorzeichen schlug er die Augen auf, sah erst gerade hinauf zur Decke, dann wandte er leicht den Kopf.
Magdalena hielt den Atem an.
Der erstaunlich klare Blick seiner tiefblauen Augen kam auf ihr zur Ruhe. Ihr wurde heiß. Die Wangen glühten, die Lippen bebten. Sie musste an sich halten, ihn nicht innig zu umschlingen.
8
Der Gewitterregen erquickte Land und Leute. Die warme Erde dampfte vor Freude. Beglückt tanzten die Menschen durch das langersehnte Nass, und Josef spielte dazu auf seiner Flöte. Jung und Alt sangen und lachten und vergaßen darüber die knurrenden Mägen und leeren Kochtöpfe. Die Erfrischung aber war nicht von Dauer. Noch vor Sonnenuntergang überzog das seit Wochen vertraute strahlende Blau wieder den Himmel. Glutrot färbte sich die Sonne und verkündete, dass sie auch am nächsten Tag die Oberhoheit über das Wetter beanspruchen würde. Der Geruch nach feuchter Erde und nasser Kleidung aber hing den restlichen Abend über dem Lager, vermischte sich bald mit dem von Lagerfeuer und Fackeln.
Bizarr huschten die Silhouetten der spielenden Kinder über den Lehmboden. Träge folgte Elsbeth ihnen mit dem Blick, wie sie zwischen Kisten und Zelten ihren Weg suchten, mal einem Erwachsenen ausweichen mussten, mal einem anderen auf die Füße traten oder flink zwischen den langen Beinen eines Dritten hindurchschlüpften. Fluchen und Schimpfen wurden laut, sobald sie etwas umstießen. Das focht sie in ihrem ungestümen Treiben nicht an. Unbeschwert verständigten sie sich über die Zelte hinweg, mitunter erhob sich dazwischen ein zartes Stimmchen, um einen Abzählreim oder ein kurzes Lied zu singen. Andere stimmten ein, bis ihnen das Singen zu fad wurde und sie wieder etwas Aufregenderes entdeckten.
Den ganzen Nachmittag schon sah Elsbeth ihnen zu und erinnerte sich daran, wie sie mit Magdalena, Rupprecht und den anderen Trosskindern fröhlich herumgetollt war. Langsam senkte sich die Dämmerung über das Lager. Als die Kinder vorhin ungestüm durch den Regenschauer getanzt waren, war Elsbeth versucht gewesen, es ihnen gleichzutun. Carlotta hatte sie jedoch daran gehindert. Erst hatte sie auf ihrem Schoß geschlafen, dann an ihrer Brust getrunken und sie auch danach nicht aufstehen lassen.
Die stickige Luft unter der Zeltplane ließ Elsbeth schläfrig werden, doch sie fühlte sich zu matt, einen kühleren Platz zu suchen. Carlotta lag schon wieder an ihrer Brust. Behutsam strich sie ihr mit der Hand über das rotblonde Köpfchen. Munter kräuselten sich die Haarbüschel darauf. Die blauen Augen hielt sie fest geschlossen. Die dünnen Lider flatterten, lila zeichneten sich die Adern darauf ab. Im Rhythmus ihres Atems bebten die Nasenflügel. Ein verstörendes Gefühl durchströmte Elsbeth, wie immer, wenn sie die Kleine betrachtete. Was wäre geworden, wenn sie letzten Sommer selbst ein lebendiges Kind geboren hätte? Roswitha hatte ihr nicht einmal verraten, ob es sich um einen Jungen oder ein Mädchen gehandelt hatte. Bevor sie den Wurm, den sie unter Mühen aus dem Leib gepresst hatte, anschauen konnte, hatte die Alte ihn verschämt beiseitegeschafft. Elsbeth lehnte den Kopf an den Pfahl, an dem sie saß. Manchmal träumte sie davon, dass es ein Junge gewesen war mit schwarzen Haaren und dunklen Augen, genau wie
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