Die wunderbare Welt der Rosie Duncan
überstanden – ja, ich hatte sogar den Auftrag für seine Hochzeit angenommen! Man kann anderen ihre Fehler nicht ewig nachtragen. Wahre Stärke würde ich beweisen, wenn ich einen Schlussstrich unter die Angelegenheit zog und ihm zeigte, dass ich darüber hinweg war. Und auch wenn ich David gegenüber noch nicht völlig unbefangen war, fühlte ich mich doch so stark wie schon lange nicht mehr. Auf einmal hatte ich das Gefühl, tatsächlich für einen Neuanfang bereit zu sein.
»Ja, warum nicht?«, meinte ich lächelnd – und damit schien er überhaupt nicht gerechnet zu haben.
Joe Junior’s Diner ist ein Diner, wie es im Buche steht. Eine richtige New Yorker Institution, die schon in zahlreichen Filmen verewigt worden ist. Ein verchromter Tresen erstreckt sich über die gesamte Länge des Raums, an dem die Stammgäste bis spät in die Nacht auf hohen Barhockern über ihren Hamburgern und überdimensionierten Sandwiches sitzen. Gegenüber der Bar kann man auf Sitzbänken mit rotem Kunstleder an schlichten weißen Tischen sitzen, auf denen Schalen mit sauren Gurken, Ketchupflaschen und große Zuckerstreuer stehen. Als wir hereinkamen, waren fast alle Plätze besetzt, Dean Martin schmachtete aus den knisternden Lautsprechern, die Gäste unterhielten sich angeregt, dröhnendes Gelächter übertönte den ohnehin schon hohen Geräuschpegel, und einige Gespräche schienen gleich quer durch den Raum über die Köpfe anderer Gäste hinweg geführt zu werden.
Wir fanden noch einen freien Tisch gleich neben der Tür, bestellten, und da saß ich nun mit David, wärmte mich an meinem Kaffeebecher und schaute durch das beschlagene Fenster hinaus auf die Straße, auf deren nassem Asphalt sich bunte Neonlichter spiegelten. David hatte noch zwei große Stücke Apfelkuchen bestellt – der »die Spezialität vom Chef« sei, wie die Kellnerin uns versicherte –, und als mir der verlockende Duft von Zimt, gebackenem Apfel und warmem Teig in die Nase stieg, merkte ich erst, wie hungrig ich war.
»Und was war der eigentliche Grund, dass du schon so früh gegangen bist?«, wollte David zwischen zwei Bissen Kuchen wissen. »Doch hoffentlich nicht meinetwegen, oder?«
»Das wäre wohl zu viel der Ehre«, erwiderte ich und schickte ein Lächeln hinterher, damit er nicht dachte, ich
wollte schon wieder mit ihm streiten. »Wie gesagt: Ich hatte wirklich einen anstrengenden Tag. Ed und ich haben um fünf Uhr früh angefangen, den Lieferwagen zu beladen.«
»Ed? Das ist dein …?«
»Co-Designer.«
»Ah.«
David senkte den Blick auf seinen Teller und stocherte verlegen mit der Gabel an seinem Kuchen herum. »Ich hatte gedacht …«
»Ed ist mein Co-Designer – und mein bester Freund. Ich mag ihn sehr, und er passt auf mich auf wie ein großer Bruder. Wir arbeiten seit über fünf Jahren zusammen, und es läuft wirklich gut.« Als ich das so kurz und knapp aussprach, hatte ich das ungute Gefühl, dass damit längst nicht alles gesagt war – dass ich Ed mit dieser kurzen Zusammenfassung nicht gerecht wurde. Aber was sollte ich sonst sagen? Mehr konnte ich nicht sagen. Mir fehlten die Worte, um zu beschreiben, was da noch war.
»Verstehe.« Er hob den Kopf und sah mich wieder an. »Und, gibt es sonst jemanden?«
»Du meinst, ob ich mit jemandem zusammen bin? Nein, ich bin glücklich, so wie es ist.«
»Das sehe ich.« Sein Blick schweifte zum Fenster, und eine Weile schaute er schweigend hinaus.
Weil ich nicht wusste, was ich tun oder sagen sollte, aß ich einfach weiter meinen Kuchen und sah mich dabei im Diner um, das bis auf den letzten Platz besetzt war. Alle redeten gleichzeitig und wild durcheinander, ganze Gespräche liefen im Simultanton ab, doch überraschenderweise schien diese Art der Kommunikation bestens zu funktionieren. Ed meinte mal, dass es in New Yorker Dinern deshalb so zugehe, weil in dieser Stadt niemand die Zeit hätte, einen anderen ausreden zu lassen. New Yorker atmeten wahrscheinlich
sogar nach Zeitplan. Bei dem Gedanken an Ed musste ich tief Luft holen, was David nicht entging.
»Alles okay?«
Ich zeigte auf meinen Apfelkuchen. »Ganz schön heiß«, log ich und tat, als hätte ich mir den Mund verbrannt.
Davids Lächeln verschwand so schnell, wie es gekommen war. »Rosie, ich muss es einfach wissen. Hat es jemanden gegeben, seit … seit wir uns das letzte Mal gesehen haben?«
Seine Frage tat weh, aber ich hatte das Gefühl, ihm eine Antwort schuldig zu sein. »Nein«, sagte ich, sorgsam auf
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