Die wunderbare Welt der Rosie Duncan
nur beschäftigt, während New Yorker geradezu manisch sind. Selbst der kurze Abstecher in den Coffeeshop um die Ecke ist eine zeitraubende Tätigkeit von vielen, die wohlgeplant sein will im niemals endenden Wahnsinn ihrer langen Tage. Ed meinte mal halb im Scherz, dass in New York sogar die Obdachlosen einen randvollen Terminkalender hätten. Als er mal ehrenamtlich in einer Suppenküche in seinem Viertel ausgeholfen hatte (er hatte es auf eine der Mitarbeiterinnen abgesehen), glaubte er seinen Ohren kaum zu trauen, als er hörte, wie einige in der Warteschlange sich lauthals darüber beschwerten, wie viel ihrer kostbaren Zeit sie hier mit Rumstehen verschwendeten.
Mit einem bedauernden Kopfschütteln reichte Mrs Katzinger mir das Geld. »Ich danke Ihnen, Rosie. Ach, wenn Sie wüssten , wie viel ich heute noch zu erledigen habe! Die Blumen für die Kirche, das Kaffeekränzchen am kommenden Donnerstag … Sie können sich ja gar nicht vorstellen, wie schwer es ist, guten Kuchen zu einem vernünftigen Preis zu bekommen!«
»Haben Sie es schon mal bei M&H an der Achtundachtzigsten probiert?«, schlug ich vor.
Mrs Katzingers Miene hellte sich auf. »Nein, das habe ich noch nicht. Das ist aber eine gute Idee, vielen Dank! Ach,
und schon wieder eine Sache mehr auf meiner Liste …« Den großen Strauß Blumen in den zupackenden Armen eilte sie zur Tür hinaus. Das silberne Glöckchen bimmelte ihr aufgeregt ein lautes Lebewohl hinterher.
»Du bist wirklich ein unerschöpflicher Quell des Wissens«, bemerkte Nate. »Gehört das auch zum Service?«
»Natürlich. Kowalski’s ist hier im Viertel eine Institution: Wir sind Blumenladen, Therapiezentrum, Fremdenverkehrsamt – und Zufluchtsort für flüchtige Lektoren«, grinste ich.
Nates Augen funkelten vergnügt. »Noch dazu ein so unwiderstehlicher.«
Ich wurde rot und fand es höchste Zeit für einen Themenwechsel. »Kaffee?«
»Ja, bitte.« Sein Blick blieb irritierenderweise auch dann noch auf mich gerichtet, als ich Old Faithful zu überreden versuchte, uns ihren köstlichen Kaffee zu brauen. Nachdem das geschafft war, wechselten wir hinüber zum Sofa.
»Mit ›unwiderstehlich‹ meinte ich übrigens den Laden – nicht mich«, sagte Nate, und ich kam mir ziemlich dämlich vor, weil ich gedacht hatte, er könnte mich gemeint haben.
Als er sein maßgeschneidertes Jackett über die Armlehne warf und seine langen Beine von sich streckte, konnte ich einmal mehr seinen lässig-eleganten Stil bewundern: dunkelgrüner Pullover mit V-Ausschnitt, darunter ein blütenweißes T-Shirt, hellbraune Hose und teure Lederschuhe. Nate war elegantes Understatement in Person.
»Ich liebe diesen Laden, Rosie. Wenn ich hier bin, kann ich endlich mal abschalten und einfach nur ›ich selbst‹ sein – wer auch immer das sein mag.« Er lachte.
»Freut mich, dass ich dir diesen Gefallen tun kann – oder vielmehr mein Laden.«
Nate schüttelte den Kopf. »Nein, es liegt nicht nur am
Laden, es liegt an dir . Seien wir mal ehrlich: Du bist Kowalski’s. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich genau dasselbe Gefühl hätte, wenn ich dir anderswo begegnet wäre – nämlich dass ich dir nichts vormachen muss. Mein Leben …« Er suchte nach Worten. »Also, was ich damit sagen will, ist, dass die meisten Menschen gar nicht mich zu sehen bekommen, sondern das, was andere von mir erwarten oder sehen wollen. Weißt du, was ich meine?«
Ehrlich gesagt nicht. »Nein, tut mir leid.«
»Bei Gray & Connelle bin ich der Wunderknabe: ein junger Lektor, der gleich im ersten Monat drei Bestseller unter Vertrag genommen und danach eine steile Karriere im Verlag hingelegt hat. Für meine Eltern bin ich der Goldjunge – schwer vorstellbar, angesichts meiner dunklen Haare –, dem immer alles gelingt und der überhaupt nichts falsch machen kann. Zumindest nicht in ihren Augen. Und für Caitlin bin ich … eigentlich weiß ich gar nicht, was sie in mir sieht – mal abgesehen davon, dass ich ein ziemliches Talent dafür zu haben scheine, sie zu enttäuschen und ihr auf die Nerven zu gehen. Und was Mimi angeht: Sie hat das perfekte Drehbuch für ihren Familienfilm geschrieben und mir meine Rolle längst bis ins kleinste Detail zugewiesen. Der einzige Mensch, der mich so akzeptiert, wie ich bin – der nicht mehr von mir verlangt, als dass ich ab und an auf einen Kaffee vorbeikomme –, bist du. Schau mich nicht so an, Rosie. Ich meine das ernst. Seit ich hier zu dir in den Laden komme, beginne ich
Weitere Kostenlose Bücher