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Die wunderbare Welt der Rosie Duncan

Die wunderbare Welt der Rosie Duncan

Titel: Die wunderbare Welt der Rosie Duncan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dickinson Miranda
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alles mit anderen Augen zu sehen. Ich hatte immer alles, mir hat es nie an etwas gefehlt. Aber das war alles nur … es waren Äußerlichkeiten. Ich hatte nie das Gefühl, wirklich ich selbst zu sein oder so gesehen zu werden, wie ich wirklich bin. Du siehst den wahren Nate. Und ich hoffe, dass du mir helfen kannst herauszufinden, wer er eigentlich ist. Mir gefällt, was du in mir siehst, und
ich würde es auch gern selbst sehen. Vielleicht bin ich ja deshalb heute schon so früh gekommen.«
    Seine Worte schmeichelten mir, aber ich war auch ein wenig irritiert. Vielleicht täuschte Nate sich ja in mir. So klug und weise, wie er mich darstellte, bin ich nämlich nicht – was ich in der Vergangenheit immer wieder eindrucksvoll bewiesen habe. Wahrscheinlich bin ich einfach nur an Menschen interessiert , an ihren Geschichten und Persönlichkeiten.
    Es verblüfft mich immer wieder, wie viele Geschichten ich tagtäglich bei der Arbeit zu hören bekomme. Da könnte ich so allerhand erzählen! Viele unserer Kunden leben hier im Viertel, manche kommen nur gelegentlich vorbei, andere sehen wir fast jede Woche. Manche von ihnen, Mrs Katzinger und Mrs Schuster beispielsweise, waren schon lange vor meiner Zeit bei Kowalski’s Kunden. So wie auch Gloria O’Keefe, die mir erzählt hat, dass schon ihre Großmutter ihr Blumen von Kowalski’s zum Geburtstag geschenkt habe – und Mrs O’Keefe ist mittlerweile selbst Großmutter und kauft bei uns Blumen für den Geburtstag ihrer kleinen Enkelin. Aber seit ich den Laden übernommen habe, sind auch viele neue Gesichter und Geschichten hinzugekommen.
    Billy Whitman beispielsweise. Ende letzten Jahres war er das erste Mal im Laden und kam seitdem regelmäßig. Er ist hoffnungslos in die junge Frau verliebt, die das Büro ihm gegenüber hat. Der Höhepunkt seines Tages ist der Augenblick, wenn sie an ihm vorbei zum Wasserautomaten läuft und ihn dabei kurz anlächelt. Wegen dieses Lächelns kann er es jeden Morgen kaum erwarten, zur Arbeit zu kommen. Und obwohl es der einzige Kontakt ist, den er mit ihr hat, hat sie mit diesem Lächeln sein Herz erobert. Jeden ersten Montag des Monats schickt Billy seiner Kollegin Rosen von Kowalski’s – immer rote Rosen, und stets ein Dutzend,
dazu eine Karte, auf der steht: »Von Ihrem Verehrer aus dem Büro«. Wir (Ed, Marnie und ich) haben alle schon versucht, ihn zu überreden, endlich auch seinen Namen dazuzuschreiben, aber bislang hat er sich nicht getraut. Weshalb Miss Emily Kelly noch immer glaubt (oder hofft), dass die Blumen von einem der Abteilungsleiter sein müssen, und sich langsam durch das mittlere Management datet, um ihren heimlichen Verehrer ausfindig zu machen. Billy gibt sich derweil mit ihrem täglichen Lächeln zufrieden und versucht noch immer, den Mut aufzubringen, sie anzusprechen.
    Solche Geschichten sind es, die mir bei meiner Arbeit so viel Freude bereiten: kleine Momentaufnahmen aus dem Leben anderer Menschen. Fast ist es so, als würde man nachts durch die Straßen laufen und einen verstohlenen Blick in die hell erleuchteten Fenster fremder Häuser werfen.
    Aber nicht alles, was man zu sehen bekommt, ist auch erfreulich. Auf jede schöne, hoffnungsfrohe Geschichte kommen auch ebenso viele, die sehr traurig und erschreckend sind. Wie die des Mannes, der sich vor gar nicht langer Zeit in unseren Laden verirrt und bei uns dreien solches Befremden hervorgerufen hatte, dass noch heute eine kurze Erwähnung des »BlackBerry-Typen« genügt, um Ed und Marnie auf die Palme zu bringen.
    Es hatte die ganze Woche in Strömen geregnet, und das Geschäft lief entsprechend schlecht, da sich nur die unerschrockensten New Yorker bei diesem Wetter hinauswagten. Am Freitagnachmittag war so wenig los, dass ich beschloss, früher als sonst zu schließen. Wir waren gerade dabei, den Laden dichtzumachen, als der BlackBerry-Typ hereinkam. Er trug einen gut geschnittenen dunklen Anzug und einen Trenchcoat und war so sehr in ein Gespräch auf besagtem BlackBerry vertieft, dass er Ed gar nicht wahrnahm, der ihn
eben gegrüßt hatte. Ed musste sich ihm praktisch in den Weg stellen, um bemerkt zu werden.
    Das zweite, was Ed höllisch auf die Nerven ging, war die Tatsache, dass der BlackBerry-Typ sein Telefonat auch dann nicht beendete. Er murmelte nur »Bleib mal kurz dran, ja? Ich muss hier schnell was erledigen« in das Gerät, und an Ed gewandt kam ein knappes: »Ich brauche ein paar Blumen, okay?«
    Ich sah, dass Ed sich die Bemerkung

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