Die wunderbaren, aber wahrhaftigen Abenteuer des Kapitäns Corcoran
Stellung der englischen Armee bezogen.
„Herr“, antwortete der Hindu, „ich habe alles gesehen. Vorgestern abend verließ ich Bhagavapur, um mich zum einundzwanzigsten Sepoyregiment zu begeben, wo ich Freunde habe, die mich mit Nachrichten versorgen. Da ich wie ein Bettler gekleidet war, erregte ich keine Aufmerksamkeit unter den Rotröcken. Man ließ mich ungeschoren im Lager umhergehen und zu Wischnu beten. Deshalb gelang es mir, mit mehreren Sepoys zu sprechen, von denen einer Sergeant ist und in unser Komplott eingeweiht wurde. Ach, Herr, es ist ein Vergnügen, wenn man sieht, wie sie diese verfluchten Engländer hassen und sie zum Teufel wünschen… Alles an den Feringhees ist schrecklich. Ihre Verleumdung, ihre Gier, ihre Gewohnheit, geweihtes Fleisch zu essen, ihre Gottlosigkeit, die Reden ihrer Priester, die Borniertheit ihrer Offiziere, die Strenge ihres Dienstes… Könnt Ihr Euch vorstellen, Herr, daß sie die Brahmanen, die Männer der höchsten Kaste, wie ungezogene Kinder ausgepeitscht haben…?
Nun, nach einigen Stunden war ich schließlich über alles informiert, ich gab jedem das Losungswort und wollte gerade wieder gehen, als ich Eure Tochter im Lager ankommen sah, die der Verräter Rao entführt hatte.“
Bei diesen Worten stieß Holkar einen tiefen Seufzer aus. „O Wischnu“, sagte er, „wenn ich bedenke, daß ich diesen Elenden auf meinen Knien geschaukelt habe, daß ich ihn pfählen konnte, und es nicht getan habe! Reiten wir los!“
Mit diesen Worten schwang er sich in den Sattel und preschte davon, gefolgt von zwei Regimentern seiner Reiterei.
Da die Entfernung, die Bhagavapur von der Pagode trennte, in der Corcoran der Belagerung trotzte, kaum mehr als drei französische Meilen betrug, erreichte Holkar kurz vor Morgengrauen den Schauplatz des Geschehens.
13.
Toilette des Kapitäns
Um fünf Uhr morgens hatte die frische Nachtluft jedermann geweckt, Corcoran zuerst.
Er erhob sich, prüfte seine Waffen sorgfältig, ging dann sofort zum Fenster, wo Louison noch immer ausharrte, zwischen Wachsein und Schlaf pendelnd, streckte und reckte sich mehrmals und spähte zum Horizont.
Am Himmel war keine Wolke zu sehen; die Sterne glänzten noch einmal hell auf, bevor sie von der aufkommenden Morgendämmerung verschluckt wurden. Der Mond war schon lange vor der Dämmerung verschwunden. Das einzige Geräusch in der morgendlichen Stille verursachte, ein Stück von der Pagode entfernt, ein Bächlein, das als Kaskade von einer flachen Felswand herabsprudelte.
Die ganze Natur schien friedlich zu ruhen, und auch die Menschen, die sich nach und nach den Schlaf aus den Augen rieben, machten durchaus nicht den Eindruck, im nächsten Moment wieder aufeinander loszugehen.
Aber der feurige John Robarts dachte da anders.
Dieser ehrenwerte Gentleman hatte die ganze Nacht von nichts anderem als den zehntausend Pfund Sterling geträumt, die Colonel Barclay in Aussicht gestellt hatte, wenn man Corcoran und die Prinzessin fangen sollte.
Irgendwo, in Schottland vielleicht, andere meinen in England – in England, ja, ich erinnere mich wieder –, drei Meilen von Canterbury entfernt, lebte eine rothaarige und häßliche Tante von ihm. Und diese rothaarige und häßliche Tante hatte eine blonde und hübsche Tochter, also eine leibhaftige Cousine von John Robarts, Miß Julia, und diese Cousine spielte Klavier. Oh, Klavier spielen, welch Talent! Und jungen hübschen Mädchen zuhören, die Klavier spielen – welch Freude!
Aber kommen wir auf die Cousine von John Robarts zurück. Miß Julia sang bezaubernde Liedchen und endlose Romanzen, in denen der Mond, die kleinen Vögel, die Schwalben, die Wolken, Lachen und Tränen die Hauptrolle spielten – genauso wie in unseren bezaubernden und endlosen französischen Romanzen –, was zur Folge hatte, daß sie den ganzen Tag nur an die roten Schnurrbartspitzen von John Robarts dachte, der seinerseits dreimal am Tag an Miß Julias blaue Augen dachte (die hatte sie nämlich auch noch).
Aus diesem gegenseitigen Aneinanderdenken entstand, wie man sich unschwer vorstellen kann, eine gegenseitige Sympathie.
Aber da Miß Julia die Erbin von fünfzehntausend Pfund Sterling war, und Mrs. Robarts, die Tante von John, sehr genau kalkulierte und somit wußte, daß John keinen Schilling außer seinem Sold besaß, sondern im Gegenteil noch etwa fünf- bis sechshundert Pfund Schulden bei seinem Schneider, seinem Schuster, seinem Posamentier und seinen anderen
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