Die wundersame Geschichte der Faye Archer: Roman (German Edition)
auszuweichen, zwischen den stehenden Autos und dem Gehweg weiterzufahren. Ja, verdammt, er drehte den Kopf zur Seite, und Faye sah sein Gesicht. Ja, sie glaubte, es zu sehen, denn das, was sie sah, war das Gesicht, nach dem sie sich so verzehrt hatte. Zweifel ausgeschlossen, es war Alex Hobdon, aber er durfte es nicht sein. Nein, auf gar keinen Fall, denn ihr Alex Hobdon war auf dem Weg nach Chicago. Er würde erst in ein paar Stunden in Chicago ankommen, dort ein Hotelzimmer beziehen und am nächsten Tag einen Verleger auf der GraphiCon suchen, jemanden, der sich für seine gezeichnete Adaption von Frühstück bei Tiffany erwärmen würde. Meine Güte, so ein Mist. So ein verdammter, verdammter Mist. Das hier konnte nicht sein, es durfte einfach so nicht passieren. Vielleicht bildete sie sich das alles nur ein.
Faye blieb stehen, schnappte nach Luft. Ihre Beine fühlten sich an, als wäre alle Kraft aus ihnen gewichen.
Alles war wie in einem Film. Der Rollerfahrer setzte an, zwängte sich in die schmale Lücke zwischen den stehenden Autos und dem Gehweg, manövrierte den Roller behände hindurch. Er gab Gas, der Roller machte einen Satz nach vorn, Faye wollte seinen Namen rufen, aber sie schaffte es nicht.
Sie stand nur da, still und starr, wie angewurzelt, und fragte sich, ob das, was sie gerade gesehen hatte, wirklich passiert war.
Alex Hobdon war fort.
Wo immer er jetzt auch war, ob in Chicago oder in Brooklyn, er war nicht bei ihr; schon wieder hatte sie ihn verpasst.
Vielleicht habe ich mich einfach geirrt, dachte sie. Vielleicht, dachte sie aber sofort darauf, habe ich mich auch nicht geirrt.
Faye schaute in die Richtung, in die der Motorroller verschwunden war. »September on my tongue« war noch immer da, aber tief in der Melodie verborgen konnte sie jetzt ein Kratzen hören, wo die Nadel, die ein plötzlicher Stoß aus der Bahn geworfen hatte, ihr zweifelndes Herz berührte.
Sie ging zurück ins LL; immerhin war ein Schallplattengeschäft bestimmt nicht der allerschlechteste Ort, den man aufsuchen konnte, wenn man verwirrt war. Als sie dort ankam, lief über die Lautsprecher The Bird and the Bee .
»Was war denn eben los?«, wollte T. C. wissen, der sich, trotz Kundschaft, hinter der Kasse nicht einen Zentimeter von der Stelle gerührt hatte. »Schwester«, sagte er, seine Augen dunkel im fahlen Licht des Ladens, »du sahst aus, als würdest du einem Gespenst nachjagen.«
»Ich dachte, ich hätte jemanden gesehen.«
Die beiden anderen Kunden waren vertieft in die Alben der Woche: Jukebox Romance von The Yearning und My Love von The Above, irgendwo, wie Faye, in Brooklyn daheim.
Sie ging zu T. C. hinüber.
»Die hat Cricket ausgesucht«, verteidigte er sich und deutete wie beiläufig zu den Alben der Woche.
Faye sagte nur: »Schon klar.«
Sie überlegte kurz, ob sie sich The Bird and the Bee kaufen sollte, entschied sich aber dagegen; in erster Linie wohl deswegen, weil die Songs der Band alle so verdammt frei klangen und Faye sich, zumindest in diesem Augenblick – ja, gerade jetzt – überhaupt nicht frei fühlte. Sie wusste nicht, was sie wollte, und auch nicht, was sie nicht wollte, und hasste dieses Gefühl.
»Du siehst betrübt aus, Schwester.« T. C. meinte es aufrichtig.
»Das bin ich auch«, sagte Faye.
»Wegen des Gespensts?«
Sie nickte.
»Hey, als du herkamst, warst du ganz guter Dinge.«
»Stimmt.«
»Willst du darüber reden?« Er lehnte sich über die Kasse und musterte sie.
»Nicht mit dir, Bruder.«
»Schon klar, schon klar. Aber vielleicht mit Cricket?«
Faye überlegte kurz. »Nein, eigentlich nicht.«
Sie standen ein paar Augenblicke da und lauschten The Bird and the Bee .
»Hör zu, Schwester«, raunte T. C. schließlich. »Jemand, der so aussieht, wie du gerade aussiehst, sollte dringend, wirklich, kein Scheiß, ganz dringend, und ich meine das genau so, wie ich es sage, Schwester, mit jemandem reden.« Er wurde ernst, ja, so richtig ernst. »Ich mag dein Lächeln, und ich mag es nicht, wenn du nicht mehr lächelst. Versprich mir, dass du mit jemandem redest. Du weißt, dass das hilft.«
»Ja«, sagte sie.
Sie stand im Laden, tatenlos, mit hängenden Armen, fühlte sich mit einem Mal total verloren.
T. C. kam um die Kasse herum, trat auf sie zu. »Ist wegen dieses Kerls, was?« Er war einen Kopf größer als sie. »Hey, Schwes ter.« Er umarmte sie wie ein großer Bruder. »Kein Kerl ist es wert, dass du so ein Gesicht ziehst!« Er ließ sie los und sah
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