Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
ich Adèle leise.
»Nein, das glaube ich nicht. Ich tippe auf einen angeborenen körperlichen Defekt. Hast du eine Ahnung, wohin man uns bringt?«
»Ich bin wie du zum ersten Mal hier …«
Wir gehen durch lange, dunkle Korridore. Diese Gemeinschaft mag Sonnenkollektoren haben, denke ich, doch es scheint ihr an Glühbirnen zu fehlen.
Die Flure sind sauber, riechen aber manchmal nach Schimmel. Wasser tropft von einer Wand und sammelt sich in einem emaillierten Becken.
Wahrscheinlich ist es nicht einfach, Schäden am Dach zu reparieren, selbst ohne die Gefahr, dabei von irgendwelchen Wesen angegriffen zu werden.
»Tretet ein, tretet ein«, sagt der Herzog und deutet auf eine hohe, massive Tür, die er mit einem zehn Zentimeter langen Schlüssel geöffnet hat.
Wir treten ein.
21
DAS MUSEUM DES HERZOGS
Früher sagte man: »Mir fehlen die Worte, um es zu beschreiben.«
In den letzten Tagen ist mein Erstaunen oft so groß gewesen, dass mir »die Worte fehlten«. Ganz besonders gilt das für diese Gelegenheit.
Wir betreten einen riesigen Saal, in dem das Geräusch unserer Schritte auf dem welligen, an manchen Stellen gelösten Parkett von den Wänden widerhallt. Wie groß der Raum ist, wird klar, als der Herzog einen Schalter betätigt und die langen Leuchtstoffröhren an der Decke flackernd zum Leben erwachen. Einige von ihnen summen laut wie zornige Insekten.
Meine Augen werden groß.
An den Wänden des Saals sind alte, unterschiedlich große Gemälde aufeinandergestapelt. Man hat sie von den Wänden genommen, um Platz für schreckliche Dinge zu schaffen.
Der Gestank ist nahezu unerträglich.
Kein Wunder.
Wer die Wesen in der Mitte des Saals präpariert hat, kann kein Experte gewesen sein. Der Verwesungsgeruch weist deutlich darauf hin, wie auch die manchmal absurden Haltungen der betreffenden Geschöpfe. Schaudernd erkenne ich drei der Kreaturen , gegen die ich im Swimmingpool gekämpft habe. Außerdem sehe ich einen Hund mit drei Köpfen, zwei von ihnen klein und deformiert, wie Geschwülste, ein Zerberus, der lebend, nach seinem absurd krummen Rücken zu urteilen, bei jedem Schritt voller Schmerz geheult hätte. Ich wende den Blick von ihm ab und vermeide es auch, den Herzog anzusehen. Aber der junge Mann ist so hingerissen, dass er uns kaum mehr beachtet. Aufgeregt springt er von einem Ausstellungsstück zum nächsten, zeigt darauf und streichelt die Monstrositäten sogar.
»Dieses Geschöpf hier, seht nur! Eine Gruppe von Jägern hat es mir erst letzte Woche gebracht.«
Er deutet auf etwas, das in einem Beutel aus durchsichtigem Plastik auf einer Matte liegt.
Zuerst halte ich es für eine Qualle, bis mir klar wird, dass es sich um ein Gesicht handelt, mit Augen größer als Untertassen.
»Es stammt von den Hügeln bei Pennabilli. Gute Jäger. Als Belohnung habe ich ihre Siedlung für den Rest des Jahres von allen Steuern befreit.«
Ein Übelkeit erweckender Geruch geht von dem Etwas aus und durchdringt das Plastik.
»Morgen beginnt Tucci damit, es zu präparieren. Ich darf dir doch dabei helfen, nicht wahr, Davide?«
»Wie Sie wünschen, Herzog. Obwohl …«
»Ausgezeichnet. Ich freue mich schon darauf.«
Der Blick des jungen Herzogs streicht umher und entdeckt etwas, das neue Begeisterung in ihm entfacht.
»Da, seht nur! Es ist eines der besten Stücke in meiner Sammlung.«
Das verbrannte schwarze Holzstück ähnelt einem Indianer-Totem und stellt offenbar eine niedergekauerte Frau dar. Kleine Flügel ragen aus ihrem Rücken, und in ihrer Vagina zeigt sich ein menschlicher Kopf. Die Gesichter von Mutter und Kind sind schmerzverzerrt.
»Wir haben das Stück aus einer Siedlung von Kannibalen. Dies war ihr Gott, beziehungsweise ihre Göttin. Eine Göttin der Fruchtbarkeit, heißt es.«
»Gibt es Kannibalen in der Nähe von Urbino?«, fragt Adèle.
»Es gab welche«, erwidert Tucci mit einem grimmigen Knurren.
Langsam gehen wir durch den Saal und sehen uns die Ausstellungsstücke dieses seltsamen Museums an. Viele von ihnen scheinen recht alt zu sein, wie zum Beispiel eine Schildkröte, die eine so dicke Lackschicht trägt, dass sie wie eine Statue aussieht und nicht wie etwas, das einmal gelebt hat, oder ein Narwal-Stoßzahn.
Es ist eine Sammlung von Absonderlichkeiten, wie jene, an denen sich einst der Adel erfreute. Wirklich wertvolle Dinge sind nicht darunter – eigentlich ist es nichts weiter als bedeutungsloses Gerümpel.
Neugierig nähere ich mich den Bilderstapeln an den
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