Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
Geschäften gesäumt, deren Schaufenster staubig und leer sind. Immer wieder bemerke ich improvisierte Strahlungsdetektoren: Ampullen mit Goldfolie. Maxim hätte laut darüber gelacht. So nützlich wie ein Grubenvogel bei Nervengas, hätte er gesagt. Ich bin seine sarkastischen Bemerkungen gewohnt und frage mich, wie diese von Sicherheit besessenen Leute darauf reagiert hätten.
Am Ende der Straße stoßen wir auf einen Beobachtungsposten. Ich nähere mich den drei Wächtern und dem Glas hinter ihnen. Es ist eine massive Scheibe, mindestens drei Zentimeter dick. Der Palazzo Ducale – der herzogliche Palast – dahinter erscheint mir wie die Szenerie eines Films.
Die Gebäude scheinen intakt zu sein, so prächtig wie vor dem Krieg. Inzwischen wissen wir längst: Die vor Jahrhunderten errichteten Bauwerke sind stabiler als die modernen. Im Lauf der Zeit haben sie so viel überstanden, dass sie vielleicht gegen Katastrophen immun geworden sind.
Aber wahrscheinlich lautet die Erklärung: Früher hat man besser gebaut als in der Zeit kurz vor dem Leid.
Als ich jedoch genauer hinschaue, durch das fleckige, zerkratzte und staubige Glas, und meinen Blick auf Einzelheiten richte, wird mir klar, dass die letzten beiden Jahrzehnte nicht spurlos an dem Platz vorübergegangen sind.
An der Fassade des Palazzos hängen zwei Stoffbahnen in einem verblassten Rosarot, mit einer Aufschrift, die sich nicht mehr entziffern lässt. Früher einmal wurde auf diese Weise für Kunstausstellungen geworben.
Bei einem Haus am Ende des Platzes spielt der Wind mit den Fensterläden.
In der rechten Ecke der Piazza ragt die Stoßstange eines alten Wagens aus einem Schneehaufen.
Niedrig hängende graue Wolken ziehen über die Stadt.
»Können wir weiter?«, drängt Tucci ungeduldig.
Der Weg – der Korridor – biegt nach rechts und dann nach links. Wenig später erreichen wir den Eingang des herzoglichen Palastes.
Hier stammt das Licht von Ölfackeln an den Wänden. Sie stecken in Öffnungen, die vielleicht schon im Mittelalter Fackeln aufgenommen haben, möglicherweise sogar bessere als diese.
Eine Ehrenwache – bestehend aus sechs Soldaten, die saubere schwarze Uniformen tragen – löst die Männer des Konnetabels ab, die ohne ein Wort kehrtmachen. Tucci bedeutet uns, ihm ins Innere des Palazzos zu folgen. Die sechs Männer sind mit Pistolen bewaffnet, die in Halftern stecken. Außerdem haben sie mit Nägeln gespickte Knüppel, die sehr gefährlich aussehen.
Wir gehen eine geradezu riesige Freitreppe empor, und ich bedauere, dass das Licht der Fackeln nicht bis zur Decke reicht. Manchmal erscheinen Details: Putten, wie man die Kinder-Engel nennt, vergoldeter Stuck, dessen Glanz plötzlich aus der Dunkelheit tritt und dann wieder darin verschwindet.
Die Pracht dieses Gebäudes bildet einen auffallenden Kontrast zur Trostlosigkeit des Neuen Vatikans. Dies wäre ein angemessener Sitz für das Papat, sage ich mir, doch dann schiebe ich diesen Gedanken beiseite. Die Kirche ist überall dort, wo es Glaube und Glaubenslehre gibt – die Verzierungen und das Rauschgold sind nicht nötig. Die Rückkehr zum Ursprung hat durchaus Vorteile. Der Feuersturm hat uns gehärtet, vielleicht sogar gereinigt. Die Zukunft wird es zeigen.
Am Ende der Treppe erwartet uns ein Salon, von langen Leuchtstoffröhren fast taghell erleuchtet. Ich kann kaum fassen, was ich sehe, so wundervoll ist es. Die Temperatur in dem großen Raum beträgt fast fünfundzwanzig Grad.
Der Konnetabel bemerkt meinen Blick.
»Sonnenkollektoren. In der Nähe gibt es eine Fabrik, die sie herstellte. Ihre Installation war nicht leicht, doch die Mühe hat sich gelohnt. Bald wird auch der Rest der Stadt ans Stromnetz angeschlossen. Sehr bald.«
Mit langen, schnellen Schritten eilt er durch den herrlich hellen Salon, zu einer Tür auf der anderen Seite, durch die alte, schmeichelnde Musik kommt.
»Darf ich vorstellen? Der Herzog von Urbino.«
Eine Überraschung erwartet uns.
Ich frage mich, wie es mir und den anderen gelingt, beim Anblick des Herzogs nicht zu lachen.
Er sitzt auf einem Thron, der aus Holz besteht und dessen hohe Rückenlehne mit Goldfarbe gestrichen ist. Die Füße baumeln ein ganzes Stück über dem Boden.
Er scheint ein Scherz der Natur zu sein.
Schräg sitzt er da, vermutlich weil er bucklig ist und gar nicht gerade sitzen könnte – die Wirbelsäule scheint krumm zu sein. Sein Alter ist schwer zu schätzen: Er mag zehn sein, oder auch zwanzig. Die
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