Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
gegen ihn wird sich Seine Hand erheben, und Sein Zorn wird ihn verbrennen. Wer Ihn beleidigt, mag noch so schnell laufen, er wird der gerechten Strafe nicht entkommen …«
Ich wende mich von der Tür ab und gehe durch den Flur. In diesem Moment brauche ich Gott nicht; ich brauche keinen Gott. Ich habe Hunger und Durst, und das ist die ganze Liste meiner Bedürfnisse.
Nach einigen Schritten bleibe ich stehen und nehme im dunklen Korridor Platz.
Das Licht der Kerzen in Bunes Zimmer zeichnet ein helles Rechteck an die Wand. Durands Stimme wird nach und nach zu einem hypnotischen Mantra, das mir Schlaf bringt.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, als der Hauptmann und Diop das Zimmer verlassen. Das Geräusch ihrer Stiefel auf dem Parkettboden des Flurs weckt mich. Er ist von vielen Füßen abgewetzt, dieser Boden, und wenn wir gegangen sind, werden wir den Geistern, die sich hier herumtreiben, einige weitere hinzugefügt haben.
»Gehen wir«, sagt Diop.
»Wohin?«
»Weg von hier. Hier gibt es für uns nichts mehr zu tun.«
»Und Karl?«
»Karl ist fort. Es gibt ihn nicht mehr.«
Wir hätten ihn ohnehin nicht im Hummer unterbringen können. Er hätte sich nicht hinlegen können; dafür ist in dem Geländewagen nicht genug Platz.
Ich weiß nicht, wie er gestorben ist, und ich halte es für besser, nicht danach zu fragen. Ich möchte nicht wissen, ob er während des heidnischen Gebets für immer eingeschlafen ist, oder ob ihm jemand dabei geholfen hat, diese Welt zu verlassen.
Es gibt ihn nicht mehr; nur darauf kommt es an.
Ich habe herausgefunden, was es mit dem grünen Buch auf sich hat, in dem Diop so oft liest.
Es ist der Koran.
Ich frage mich, ob ich bei dieser Mission der einzige Katholik bin.
Dass in dem Hummer ein Moslem und ein Anhänger von Mithras sitzen (in Hinsicht auf Wenzels Religion wage ich nicht zu spekulieren), berührt mich kaum noch. Jeder von uns Überlebenden hat auf seine eigene Art und Weise auf den Tod der bekannten Welt reagiert. Was die Jüngeren betrifft, jene, die nach dem Tag des Leids geboren sind … Ich habe nicht den Mut, von ihnen zu erwarten, an den barmherzigen Gott zu glauben. Nicht in dieser Welt.
Früher einmal war der Glaube eine Notwendigkeit. Heute ist er ein Luxus. Etwas, das sich nicht alle leisten können.
Und auch die Kirche ist anders. Im Gegensatz zum verrückten Gottschall predigt sie keine Kreuzzüge mehr und verbrennt auch niemanden auf dem Altar des Glaubens.
Vielleicht wird die Mission der Rache, mit der wir begonnen haben, auch deshalb zu meiner eigenen.
Der große Geländewagen frisst die Straße.
Hier gibt es nur wenige Autowracks.
Der Gestank von Erbrochenem umgibt uns. Nicht immer können wir uns lange genug zurückhalten, um das Fenster herunterzulassen oder Wenzel Gelegenheit zu geben, den Wagen zum Stehen zu bringen. Zwar atmen wir noch, aber der Tod hat uns bereits fest im Griff.
Zuletzt spucken wir nur noch Galle, denn unsere Mägen sind längst leer. Wir sind erledigt; es ist nur noch eine Frage der Zeit.
Im Schnee, der die Straße bedeckt, hat Gottschalls riesiger Laster unübersehbare Spuren hinterlassen. Ähnliche Abdrücke haben wir an den Orten eines jeden Massakers gefunden. Inzwischen ist alles klar. Die Toten von Torrita Tiberina, die junge Frau im roten Cabrio auf der Autobahn …
Die Toten von Sant’Arcangelo …
Wir sind dorthin gefahren, weil Durand es mit eigenen Augen sehen wollte.
Er ist allein in die Gewölbe hinabgestiegen.
Die Masse der Festung – in diesem Fall handelt es sich wirklich um eine Festung, jahrhundertealt – ragte aus den Ruinen eines toten Ortes. Überall gab es Zeichen von Zerstörung.
Durand kehrte mit einer recht schwer wirkenden Reisetasche zurück und verstaute sie hinten bei den anderen Sachen. Dann fuhren wir weiter.
»Was hast du dort unten gesehen?«, frage ich leise. Diop schläft vorn auf dem Beifahrersitz, und Wenzel scheint ganz und gar aufs Fahren konzentriert zu sein.
Durand blickt in die Nacht hinaus.
»Nichts, was du nicht schon gesehen hättest, John. Gottschall ist wahnsinnig. Wer auch immer ihn umbringt, er muss ihm einen Holzpflock ins Herz stoßen. Es gab da eine junge Frau … Sie hatte die schönste Stimme, die ich jemals gehört habe. Sang wie ein Engel …«
Er fügt dem nichts hinzu.
Es schneit nicht mehr. Die Sterne sieht man nicht; sie bleiben hinter einer dichten Wolkendecke verborgen, die sich seit zwanzig Jahren nicht öffnet. Aber es schneit nicht,
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