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Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tullio Avoledo
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in der Bibel heißt.
    Ich folge Alessia durch den sich wie eine Schlange windenden Kanal. Der Eindruck von einem toten Wald um uns herum wird immer stärker. Manche Gebäude haben Zeit und Elementen nicht standgehalten; einige sind verbrannt, andere eingestürzt. Doch die meisten stehen noch immer, stolz und prächtig, auf den vielen Pfählen, die sie seit Jahrhunderten stützen.
    »Venedig steht auf zahllosen Pfählen, die tief in den Schlamm reichen, und viele von ihnen sind uralt. Das Fehlen von Sauerstoff hat ihr Holz versteinern lassen.«
    Alessia zeigt auf eine Stelle, wo ich bisher gar nichts bemerkt habe. Venedig scheint eine Stadt der Tarnung und Täuschung zu sein, denn wo bis eben noch alles leer zu sein schien, entdecke ich plötzlich Leben, so gut maskiert, dass es meiner Aufmerksamkeit entging. Ein mit Lanze und Schwert bewaffneter Wächter löst sich von der Wand. Seine Kleidung hat die gleiche Farbe wie die Pfähle, an denen er lehnte, und das gilt auch für Gesicht und Hände. Als er sich bewegt, scheint ein Teil der Stadt plötzlich lebendig zu werden.
    Alessia spricht nicht, wechselt nur einen kurzen Blick mit der Gestalt. Vielleicht kommt es zu einem telepathischen Kontakt zwischen ihnen, denn der Wächter winkt und lässt uns passieren.
    »Ich habe ihn überhaupt nicht gesehen«, flüstere ich beeindruckt.
    »Ebenso wenig wie die anderen«, erwidert Alessia.
    »Gab es noch mehr?«
    »Wir sind an insgesamt vierzehn vorbeigekommen.«
    Sie fügt dem nichts hinzu, und ich stelle keine weiteren Fragen. Ich habe auch so schon genug zum Nachdenken.
    Bei einer Kurve des Kanals, der einmal Canal Grande hieß, treffen wir auf ein Wrack, das halb im Boden steckt. Zur Seite geneigt, vom Wasser und zwanzig Jahren Wetter ruiniert, sieht es eher nach dem Kadaver eines großen Tiers als nach einem Schiffswrack aus.
    »Du bist nie zuvor in Venedig gewesen«, sagt Alessia und lächelt. Es ist keine Frage, sondern eine Feststellung.
    »Nein. Aber vieles erscheint mir vertraut. Von Dokumentarfilmen und Fotos, nehme ich an.«
    »Venedig ist auch heute noch wunderschön, aber mit dem Wasser in den Kanälen muss die Stadt atemberaubend gewesen sein.«
    »Wieso sind die Kanäle trocken?«
    Alessia deutet in die Ferne, über das Ende des Kanals hinaus.
    »Wir wissen es nicht. Das Meer ist zehn Kilometer weit zurückgewichen. Manche glauben, dass es an der Kälte liegt. Weil sich mehr Eis an den Polkappen gebildet hat. Angeblich hat eine neue Eiszeit begonnen.«
    »Das habe ich auch gehört.«
    Der Schnee reicht uns bis zu den Fußknöcheln. Der seit den Tagen des Krieges unablässig wehende Wind verhindert, dass sich der Schnee setzt. Wenn all die fliegenden Flocken den Boden erreichen könnten, wäre die weiße Decke mindestens einen Meter dick, hat Maxim einmal gesagt. Ich bedauere, dass er nicht hier ist; es hätte ihm gefallen, diese Stadt im Licht des Tages zu sehen.
    Alessia bedeutet mir stehen zu bleiben.
    Wir steigen eine metallene Leiter am Rand der »Schlucht« hoch. Auch hier sehen die Pfähle wie Baumstämme eines toten Waldes aus.
    Alessia klopft an eine Tür, die sich unterhalb der Fundamente eines Palazzos befindet, dessen Fassade marmorne Intarsien aufweist. Die Klopfzeichen scheinen eine Art Muster zu bilden. Ein Code?
    Die Tür öffnet sich. Zwei Wächter mit Masken treten beiseite und lassen uns eintreten.
    Ein leicht unangenehmer Geruch dringt durch die parfümierten Filter im »Schnabel« meiner Atemmaske.
    Etwas Scharfes und Süßliches.
    Wir gehen durch einen kurzen Flur, der auf einer Seite von einem schweren dunklen Vorhang begrenzt wird, und erreichen einen großen Raum mit niedriger Decke und Wänden, die offenbar aus Ton bestehen. Das einzige Licht stammt von zwei Kerzen auf der gegenüberliegenden Seite.
    Doch die »Bewohner« dieses Raums brauchen kein Licht.
    Tote hängen an den Wänden zu beiden Seiten.
    Zu Dutzenden sind sie an glänzenden Schlachthaushaken befestigt.
    Im Lauf der Zeit sind sie mumifiziert. Ihre Haut ist trocken wie Pergament, und die Totenschädel mit den entblößten Zähnen scheinen zu grinsen. Die Hände liegen auf der Brust übereinander, gehalten von Binden, die wie bei Mumien um die Körper geschlungen sind. Die Lider sind über den leeren Augenhöhlen gesenkt – die Toten scheinen zu schlafen.
    Alessia geht ungerührt zwischen den beiden Reihen aufgehängter Leichen hindurch.
    Die Toten stammen aus allen Altersgruppen. Viele Kinder sind darunter und bilden zwei

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