Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tullio Avoledo
Vom Netzwerk:
verschluckt zu werden.
    Nur Alberto und ich bleiben übrig.
    Alessia ist nicht mehr da.
    Ich bekomme keine Gelegenheit zu fragen, wo sie ist und wie sie direkt vor meinen Augen verschwinden konnte. Alberto – er steht vornübergebeugt, die Hände an den Knien, und schnappt nach Luft – blickt mich an, und ich sehe den fiebrigen Glanz seiner Augen hinter der Maske.
    »Sind Sie jetzt für die Begegnung bereit?«
    »Für die Begegnung mit wem? «
    »Mit dem Patriarchen! Deshalb sind Sie doch hier, oder?«
    »Wo ist er?«
    »Kommen Sie. Ich bringe Sie zu ihm.«
    Wir betreten einen Saal, der mindestens fünfzig Meter lang ist und in dem eine große Menschenmenge tanzt. Bilder hängen an den Wänden, und von Stuck umfasste Fresken schmücken die hohe Decke. Ich bestaune die erhabene Schönheit dieses großen Raums.
    »Der Saal des Großen Rates!« Alberto ruft es mir ins Ohr, damit ich ihn trotz der lauten Musik höre. Der Tanz um uns herum … Es scheint jetzt ein wilder Cancan zu sein.
    »Herz und Hirn der Republik Venedig.«
    Die Füße der vielen Tänzer lassen den Boden beben.
    »Mehr als zweitausend Personen fanden hier Platz.«
    Ich höre ihn fast nicht mehr. Mit offenem Mund stehe ich vor dem großen Gemälde an der Rückwand des Saales.
    »Das Paradies von Tintoretto«, erklärt mir Alberto.
    Ich kenne das Bild von Fotos.
    Doch es mit eigenen Augen zu sehen, ist überwältigend.
    Ich nähere mich dem Gemälde und den vielen Personen, die darauf dargestellt sind und zur Mitte streben, Christus und der Jungfrau Maria entgegen, beide von heiligem Licht umgeben.
    Aber etwas stimmt nicht.
    Jemand hat das Bild beschädigt.
    Bei jeder Person ist das Gesicht weggeschnitten, und wer auch immer dafür verantwortlich ist: Er hat seine Zerstörungswut vor allem an Christus ausgelassen, von dem kaum etwas übrig ist.
    Wenn Wahnsinn dahintersteckt, so ist es methodischer Wahnsinn, denn keine Figur wurde verschont. Den jüngsten Engeln mit den Kindergesichtern wurden die Augen weggeschnitten.
    Ich drehe mich mit der Absicht um, Alberto zu fragen, wer eine solche Schandtat begehen konnte, als mich plötzlich etwas trifft.
    Es ist ein schreckliches Gefühl, als befände sich plötzlich eine Hand in meinem Körper und drehte mir die Eingeweide um. Der Schmerz ist kaum zu ertragen. Ich sinke auf die Knie und schreie. Eine Art elektrischer Schlag durchzuckt meinen Nacken, und ich falle nach vorn, pralle mit der Wange auf den Boden. Eiseskälte packt mich. Ich höre Stimmen und spüre Bewegungen in meiner Nähe, aber niemand kommt, um mir auf die Beine zu helfen.
    Ich will Hilfe rufen, bringe jedoch keinen Laut hervor.
    Die Musik wird dumpfer; die einzelnen Töne ziehen sich in die Länge.
    Alessia!, schreie ich, aber nur in meinem Innern, denn es kommt keine Atemluft mehr aus der in Kälte erstarrten Lunge.
    Für einen Moment glaube ich, sie zu sehen, zu mir herabgebeugt, doch dann wird das Gesicht zu dem einer anderen Person und schließlich zu einem weißen Fleck. Die Stimmen verschmelzen zu einem Blubbern oder Plätschern – es klingt nach einem Bach, der durch eine dunkle Höhle fließt.
    Sie lassen mich sterben. Ich liege auf dem Boden, und sie lassen mich sterben. Mein Körper wird immer kälter, und Taubheit breitet sich in mir aus …
    Als ich die Augen öffne, sehe ich nicht den Boden, sondern einen langen Tunnel. Er scheint aus Milch zu bestehen, oder aus weißem Wasser. Oder vielleicht aus dichtem Rauch. Seine Oberfläche wogt und wallt. Der Tunnel ist sehr, sehr lang.
    Ich stehe mit geradezu absurder Mühelosigkeit auf.
    Der Tunnel scheint breiter zu werden, um mich aufzunehmen und mir zu gestatten, in ihm zu stehen. Ich habe das Gefühl zu schweben, gar keinen Boden mehr unter den Füßen zu haben. Meine Beine bewegen sich nicht, und doch gewinne ich den Eindruck, unterwegs zu sein, wie von einer sanften Hand nach vorn geschoben. Ich hebe den Arm und betrachte meine eigene Hand, die von einem seltsamen Licht umgeben ist – bei jeder Bewegung hinterlässt es einen kleinen Schweif.
    Ich fliege durch den Tunnel, seinem Ende entgegen. Falls er ein Ende hat.
    Das Bild vor meinen Augen verschwimmt mehrmals, und für einen Moment glaube ich, weiter vorn eine Gestalt gesehen zu haben. Aber vielleicht hat mir das sonderbare Licht einen Streich gespielt. Ich schwebe weiter und habe jetzt das Gefühl, mich nicht mehr nach vorn zu bewegen, sondern nach oben, wie von einer großen Hand getragen.
    Übelkeit entsteht in mir, füllt

Weitere Kostenlose Bücher