Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
auch den Panzerwagen schmückte.
Der Wagen wirkte sehr eindrucksvoll. Es handelte sich um einen Humvee, ein militärisches Modell: ein hässlicher, aggressiv anmutender Geländewagen, für Schwarzenegger besser geeignet als für den Mann, der ausstieg, sich an der Tür festhielt und vom Trittbrett sprang.
Er trug einen Strahlenschutzanzug aus weißem Kunststoff, der fast makellos war, dazu einen Helm aus dem gleichen Material, mit einem dunklen Visier.
Von der Statur her ähnelte er Bibendum, dem Michelin-Männchen. Die beiden halb verhungerten Männer hinter dem Gitter starrten verblüfft und hielten ihn für eine magische Erscheinung; sie hätten sich nicht gewundert, wenn als Nächstes ein Einhorn erschienen wäre.
»Ich grüße euch«, sagte der dicke Mann. Seine Stimme kam aus einem Lautsprecher auf dem Dach des gepanzerten Wagens.
»Ich bin Kardinal-Camerlengo Ferdinando Albani, provisorischer Rektor des Heiligen Stuhls. Ich bin gekommen, um eines unserer Kirchengüter in Besitz zu nehmen.«
»Ach, tatsächlich? Versuch’s nur«, erwiderte eine raue Stimme.
Sie gehörte Alessandro Mori, dem Mann, der an der Spitze der Calixtus-Besatzer stand. Er war nicht nur der Älteste, sondern wusste auch die meisten Gefolgsleute hinter sich, zumindest derzeit. Er hielt eine Signalpistole in der zitternden Hand. Damals waren drei Gewehre mit einer Handvoll Patronen die einzigen Schusswaffen im Arsenal der Katakomben-Gemeinschaft; und ebendiese Very-Signalpistole in Moris Hand.
»Ich hoffe, das wird nicht nötig sein, mein Herr«, ertönte die Lautsprecherstimme. »Denn die Kirche möchte kein Blutvergießen.«
Weiter hinten sprangen etwa ein Dutzend Männer aus einem der Lastwagen. Auch sie trugen Strahlenschutzanzüge, aber keine weißen, sondern in Tarnfarben. Ihre Waffen waren sehr beeindruckend: Sturmgewehre mit Laser-Zielvorrichtungen.
Mori und seine Männer waren plötzlich voller roter Punkte, als hätten sie sich irgendeine ansteckende Krankheit zugezogen. Jeder dieser Punkte repräsentierte ein auf sie zielendes Gewehr: auf die Stirn, aufs Herz, auf den Arm.
»Die Wahl liegt natürlich bei Ihnen«, fügte Albani engelhaft hinzu. »Was halten Sie davon, wenn Sie hierherkommen, damit wir reden können?«
In jenem Moment hätte alles passieren können, und die Geschichte unserer kleinen Gemeinschaft wäre anders verlaufen. Viele alternative Welten hätten aus diesem einen Moment entstehen können, und einige von ihnen wären zweifellos besser gewesen als unsere. Doch das werden wir nie erfahren, denn der alte Mori steckte die Signalpistole ins Gürtelhalfter und forderte seine Männer mit einem Wink auf, das Tor zu öffnen. Ein Wächter reichte ihm eine Plastikplane, aber die lehnte Mori ab.
Mit übertrieben selbstsicheren Schritten marschierte er auf den Kardinal zu, mit dem Gehabe des angeberischen Halbstarken, der er in jungen Jahren gewesen war, bevor er sich, zusammen mit Söhnen und Enkeln am Rand der Hauptstadt einem lukrativen Geschäft mit gestohlenen Autos und Motorrädern gewidmet hatte.
Zwei Schritte vor Albani blieb er stehen. Das dunkle Helmvisier des Kardinals hinderte ihn daran, die Augen zu sehen. Wenn er sie gesehen hätte, wäre ihm klar geworden, dass der Prälat alles andere als ruhig war. Die Gewehre der drei Wächter am Tor zielten auf ihn, und er war leicht zu treffen.
Albani musterte den Alten und bemerkte die Narbe einer Brandwunde auf der Wange. Die Finger der linken Hand waren wie miteinander verschweißt und bildeten eine unförmige, groteske Faust.
Albani streckte die Hand aus. Mori ergriff sie nicht.
Er spuckte zu Boden.
»Es ist kalt hier draußen«, sagte der Kardinal.
»Daran bin ich gewöhnt. Kommen wir zur Sache.«
»Wie Sie wünschen.«
»Du hast einen Schutzanzug, und ich habe nichts. Ich fürchte mich nicht vor dem Sterben, aber ich will hier draußen keine Zeit verlieren. Sag mir, was du zu sagen hast, und verschwindet dann. Dieser Ort gehört uns.«
Albani schüttelte den Kopf.
»Da irren Sie sich. Die Calixtus-Katakombe ist eine heilige Stätte für die Kirche.«
»Ihr habt bereits den Vatikan. Genügt er euch nicht? Hat er nicht genug Platz?«
»Platz gibt es dort jede Menge. Vor allem jetzt, da ein verstrahlter offener Platz daraus geworden ist. Der Vatikan existiert nicht mehr; dort gibt es nur noch verbrannte Erde.«
»Euer Problem.«
»Wir haben sechs Monate unter der Engelsburg verbracht.«
»Da hättet ihr bleiben sollen. Es war bestimmt
Weitere Kostenlose Bücher