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Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tullio Avoledo
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zurück. »Erzähl mir weiter von eurer Ankunft«, sage ich.
    »Ich weiß aus sicherer Quelle, dass Hauptmann Durand den Camerlengo um Erlaubnis bat, Mori und die anderen Oberhäupter des Refugiums auf der Stelle zu erschießen. ›Geben Sie mir freie Hand, und in zehn Minuten ist alles vorbei‹, sagte er. Aber der Kardinal lehnte ab. Schade.«
    Ich nicke.
    »Ja, schade.«
    Wenn es so gelaufen wäre, hätte sich dieser Ort vielleicht in ein Paradies verwandelt.
    Dutzende von Kisten mit Lebensmitteln und Mineralwasser wurden aus den Lastern entladen. An Wasser mangelte es in den Katakomben nicht. Mit bloßen Händen hatten die Flüchtlinge zwei tiefe Brunnen gegraben, doch ihr Wasser schmeckte grässlich und musste gekocht werden, bevor man es trinken konnte. Und Brennholz war noch kostbarer als Wasser …
    »Hinter den Soldaten stiegen Männer und Frauen in verschlissenen, aber sauberen Overalls in die Katakomben hinab. Der Geruch – der Gestank – erschreckte sie. Die Ärzte waren entsetzt, als sie das ›Krankenhaus‹ sahen: Zwölf Männer und Frauen lagen dort auf dem Boden aus gestampfter Erde. Einer von ihnen trug einen schmutzigen Verband am Arm, und die Wunde war vereitert. Die anderen lagen einfach nur da, ohne dass sich jemand um sie kümmerte.
    Es war wie in dem Film, den die Engländer im Vernichtungslager Bergen-Belsen gedreht hatten: völlig abgemagerte, sich selbst überlassene Menschen. Aber Mori und seine Wächter waren keineswegs abgemagert. Ihnen ging es gut, ebenso den anderen in den ›hohen Quartieren‹, die man heute ›Stadtrat‹ oder ›Kommune‹ nennt.«
    »Warum seid ihr nicht gegangen? Warum seid ihr geblieben? Ihr hättet mit den Lastwagen zu einem anderen Refugium fahren können …«
    Maxim schüttelt den Kopf. »Keine Ahnung. Die Entscheidung traf der Kardinal, und niemand von uns protestierte, als er sagte, dass wir bleiben würden. Vielleicht war es die Aufregung darüber, eine so große Gruppe von Überlebenden gefunden zu haben. Ich weiß nicht. Es erschien uns fast wie eine … Heimkehr. Wenn man es mit einer Hochzeit vergleichen kann, waren wir die reiche, schöne Braut und der Bräutigam ein bettelarmer hässlicher Bursche, der sie in einen feuchten, kalten Keller trug, um dort mit ihr zu leben.«
    Ich schmunzele. »Keller sind heutzutage gar nicht schlecht. Man hat sie damals oft unterschätzt.«
    »Bedenkt, wozu dies Dasein euch gegeben! Nicht um Mäusen gleich zu brüten …«, sagt Maxim.
    In der Göttlichen Komödie schreibt Dante: »Nicht um dem Viehe gleich zu brüten«. Die Änderung in dem Vers ist passend: Wir leben wie Mäuse in einer Welt, die unsere Vorfahren für unwürdig gehalten hätten, und wir ernähren uns von Schmutz. Wir durchsuchen verlassene Häuser und feiern, wenn wir etwas finden, das wir früher für Abfall gehalten hätten. Wir verstecken uns vor dem grausamen Licht des Tages und verkriechen uns immer tiefer. Bleich wie Geister sind wir, armselige Karikaturen der Menschen, die einst über die Erde herrschten.
    Aber wenn man heute leben und über leben will, muss man seinen Stolz vergessen.
    »Wichtig ist, am Leben zu bleiben«, antworte ich.
    Maxim schüttelt den Kopf. Sein dichtes graues Haar (ich frage mich immer wieder, wie er es hier unten sauber hält) bewegt sich wie die Mähne eines Löwen. Maxim sieht aus wie Daniel Olbrychski, ein polnischer Schauspieler des vergangenen Jahrhunderts.
    »Dem kann ich nicht zustimmen«, sagt er. »Es ist wichtig, wie man lebt. In unmöglichen Situationen kommt es auf den Stil an. Ich weiß, ich weiß, das siehst du anders, darauf brauchst du nicht extra hinzuweisen. Aber dieser Meinung bin ich nun einmal.«
    Maxims Akzent ist ganz leicht, man hört ihn gerade so. Und sein Italienisch ist eindeutig besser als meins. In seinem früheren Leben war er Professor für theoretische Physik an der Staatlichen Universität Sankt Petersburg. An dem Tag, der alles veränderte, befand er sich in Rom auf einer von der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften veranstalteten Konferenz. Ein Jahr später gehörte er zur Akademie, und heute ist er ihr letztes Mitglied, soweit ich weiß.
    »Irgendwann bitten sie auch mich, an einer Expedition teilzunehmen, und dann kehre ich nicht zurück, wie viele andere vor mir. Der Stadtrat hat nichts für die Wissenschaft übrig. Nach dem, was wir angerichtet haben, kann ich es ihm kaum verdenken. Andererseits … Die theoretische Physik hat nie jemanden umgebracht. Zumindest nicht

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