Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
keine Probleme damit haben …«
»Genau. Es heißt, Fahrradfahren vergisst man ebenso wenig wie Sex«, kommentiert Bune hinter mir und nimmt das Tuch von einem Motorschlitten, der ebenso rot ist wie der, vor dem ich stehe. »Obwohl dies natürlich kein Fahrrad ist und Sie natürlich gar nicht wissen können, was es mit Sex auf sich hat.«
»Verschwinde, Bune«, brummt Durand.
»Bitte segnen Sie mich, Hauptmann, denn ich habe die Wahrheit gesagt.« Bune lacht und geht zu einer Werkbank, bei der sich die anderen Männer versammelt haben, mit Ausnahme von Korporal Rossi. Der kleine Italiener steht neben der Tür und beobachtet den Rollladen, als befürchtete er, dass ihn jemand von der anderen Seite hochziehen könnte.
Durand lächelt.
»Freut mich, dass Sie glauben, mit einem Motorschlitten zurechtzukommen. Wir haben nämlich keine Zeit für Fahrunterricht.«
»Und ich habe keine Lust, mir noch mehr von Bunes dummem Gerede anzuhören. Es geht mir wirklich auf die Nerven.«
Durand streicht mit der einen Hand über seine raue, schmutzige Wange. Der Schnee mag weiß aussehen, aber er ist es nicht. Die Asche der im atomaren Feuer verbrannten Dinge und Menschen reist noch immer durch die Zeit, und gelegentlich senkt sie sich auf uns herab, kalt und beunruhigend wie die Liebkosung eines Fremden.
»Urteilen Sie nicht zu hart über Bune, Pater. Hinter jedem Menschen steckt eine Geschichte, und Bunes Geschichte ist schrecklich. Während des FUBARD , während des Leids, des Jüngsten Gerichts oder wie auch immer man es nennen will … An jenem Tag hat Bune seine ganze Familie verloren. Seine Frau und zwei Töchter. Er arbeitete in Ostia, bei einer archäologischen Ausgrabung unweit des Hafens …«
»Bei einer Ausgrabung?«
»Und nicht als Arbeiter. Karl Bune war ein angesehener Experte für griechische Epigrafik. Er galt als eines der besten Talente in seinem Fachgebiet.«
»Ostia ist eine römische Stadt, keine griechische.«
Durand schüttelt den Kopf. »Bune hat mir erzählt, dass Rom in Wirklichkeit eine Stadt war, in der die Angehörigen vieler Völker und Minderheiten lebten – jede dieser Gruppen benutzte ihre eigene Sprache, auch im Schriftlichen. Die einzige gemeinsame Sprache war Griechisch.«
Ich beobachte, wie Bune mit den anderen Männern scherzt und lacht, manchmal auf eine recht derbe Art, mit Klapsen aufs Hinterteil und Grimassen.
»Ich kann ihn mir kaum als Archäologen vorstellen.«
»Bune hat mir von einem Gewölbe in den Ruinen von Ostia erzählt, einem Gebäude, das einst ein Gefängnis gewesen sein muss. An einer Wand hat man dort griechische Inschriften gefunden, mit einem spitzen Gegenstand eingeritzt. Die Schriftzeichen waren niemandem aufgefallen, bis ein Fotograf, der Bilder für einen historischen Band über Ostia machen sollte, Scheinwerfer aufstellte. Eine spezielle chemische Behandlung hob die Inschrift deutlicher hervor.«
»Wie lautet sie?«
»Bune hat mir nur gesagt, dass sie schrecklich war. Als er sie las, wäre er am liebsten weggelaufen, wohin auch immer, nur weit weg. Als er die Ausgrabungsstätte verlassen wollte, begann der Boden zu beben. Einmal, zweimal, dreimal, von den Raketen, die in der Nähe der Hauptstadt einschlugen. Bune fiel zu Boden, und die Decke des Gewölbes stürzte ein. Er wurde unter Schutt begraben, aber zum Glück verlor er nicht das Bewusstsein und konnte sich freigraben …
Als Professor Bune die Ausgrabungsstätte verließ, zeigten sich blutrote Streifen am Himmel. Im Osten gleißte es, und ein Grollen kam aus der Ferne, gefolgt von einem Wind wie der Odem eines Drachen. So beschrieb er es später. Drei Tage blieb er in den unterirdischen Gewölben, denn er hatte begriffen, was geschehen war. Sein Handy funktionierte nicht mehr, ebenso wenig das Satellitentelefon des Ausgrabungsleiters, der sich einfach nicht damit abfinden konnte, was geschehen war. Bune versuchte, es ihm zu erklären, aber die Vorstellung von einem Atomkrieg war so schrecklich, dass sich ein Teil von ihnen weigerte, so etwas zu glauben. Sie ließen sich Dutzende von anderen Erklärungen einfallen, um der Realität nicht ins Auge blicken zu müssen. Und so blieb Bune am Leben: Die anderen brachen in der Hoffnung auf, dass es im Zentrum von Rom bessere Überlebenschancen gab als in Ostia. Bune hingegen blieb, gefangen in einem Gespinst aus Schmerz und Furcht. Die anderen gingen und ließen ihm ein wenig Proviant zurück, den er gar nicht anrührte. Er suchte die tiefste Stelle
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