Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
Leids gibt es kein Parfüm mehr.
Auch die Lebensmittel haben keinen guten Geruch mehr, wenn man sie auf einem stinkenden Ölkocher zubereitet oder sie auf einer halb verrosteten Platte erhitzt, die von Fett und Rauch vieler anderer Mahlzeiten eine dicke Kruste bekommen hat.
Der weiße Mensch hingegen … Er riecht gut. Nach Blumen. Ich gerate in Versuchung, den Kopf zu heben, um den Duft besser zu genießen.
Ein Arm zieht mich zurück, und eine Hand legt sich mir auf den Mund, damit ich keinen Ton von mir gebe.
Der Arm drückt mich nach unten und hält mich fest.
Der Schnee ist eiskalt, und sein metallischer Geruch vertreibt den Duft der engelhaften Gestalt, die …
Die Hand löst sich von meinem Mund und dreht mich um.
Bune sieht auf mich herab und wirkt fast vergnügt. Doch in seinem Gesicht hat selbst ein Lächeln etwas Unheilvolles.
»Lieber Himmel, Pfaffe, du hast mehr Glück als Verstand. Gerade bist du einem Muskel entkommen! Davon könntest du deinen Enkeln erzählen, wenn dir die Kirche welche gestatten würde.«
»Was war das? Was ist ein Muskel? «
Ich drehe mich um und sehe entsetzt, dass das Wesen noch da ist, nur wenige Meter entfernt. Bune erhebt sich ungerührt und reicht mir die Hand. Ich ergreife sie, worauf er mich so hochzieht, als wollte er eine Wurzel aus dem Boden reißen.
»Das ist ein Muskel«, sagt er laut und zeigt auf das weiße Wesen. Einige Hundert Kilo Fleisch, blind und taub, dafür aber mit einer sehr guten Nase.«
Er nähert sich dem Geschöpf, das ihn überhaupt nicht zu bemerken scheint und sich zu seinen fortstapfenden Artgenossen umdreht.
»Es sind seltsame Kreaturen. Sieh nur.«
Er deutet auf die Schnauze – man kann sie nicht anders nennen – des Wesens. Mir fällt eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Fledermaus auf: eine flache Nase mit breiten Öffnungen und großen, blinden Augen.
Zwei andere Soldaten kommen aus der Dunkelheit.
Die Wesen reagieren nicht auf sie und marschieren synchron: Sechs Füße machen links einen Schritt nach vorn, gefolgt von den sechs Füßen auf der rechten Seite. Sie bewegen sich wie ein großes, aus sechs einzelnen Körpern bestehendes Geschöpf.
Sie achten nicht auf die Männer in ihrer Nähe und setzen ihren Marsch fort, mit stoischer Entschlossenheit, als wollten sie sich von nichts und niemandem aufhalten lassen.
»Was sind das für Wesen?«, frage ich leise.
Bune macht sich nicht einmal die Mühe, seine Stimme zu senken.
»Mutanten. Mehr wissen wir auch nicht. Wir wissen nur, dass diese Burschen dauernd unterwegs sind, überall herumschnüffeln und auf die Strahlung und die anderen Gefahren im Draußen pfeifen. Es sind immer sechs. Man könnte sie für dieselbe Gruppe halten, aber es gibt mehrere. Einmal haben wir von einem mehrstöckigen Gebäude aus drei Gruppen gesehen, die in einem Bereich etwas größer als ein Fußballfeld patrouillierten. Ja, so sah es aus, wie Patrouillen. Wie Streifengänge, oder als ob sie auf der Suche wären.«
»Nach was?«
Bune hebt die Hand, um sich am Kopf zu kratzen, lässt sie dann aber wieder sinken. Schon ein kleiner Kratzer kann gefährlich sein, selbst in einem Refugium, und erst recht draußen.
Das Wesen marschiert an uns vorbei, die Arme im selben Takt wie die Beine, und verschwindet in der Dunkelheit.
Durand erscheint plötzlich wie aus dem Nichts.
»Bune, du verdammter Idiot!«
»He, warum schreien Sie mich an, Hauptmann? Was habe ich getan?«
»Du bist für die Sicherheit des Priesters verantwortlich!«
»Ist es vielleicht meine Schuld, dass der blöde Muskel es ausgerechnet auf ihn abgesehen hatte?«
Bune beugt sich zu mir vor und schnuppert.
»Er hat sich nicht bespritzt! Hauptmann, er hat sich nicht bespritzt! Deshalb hat der Muskel ihn gewittert.«
Durand schüttelt den Kopf. »Wenn er Sie entdeckt hätte, wären Sie tot.«
Auch er schnuppert an meinem Parka.
Dann wendet er sich verärgert an Bune.
»Übernimm meinen Platz an der Spitze der Kolonne. Ich kümmere mich um Pater Daniels.«
Bune brummt etwas Unverständliches und geht fort.
»Ziemlich viel Aufregung für einen Tag, wie?«, fragt der Hauptmann.
»Kann man wohl sagen.«
»Wir nennen sie ›Muskel‹.«
»Ich weiß.«
»Weil sie Teile eines größeren Organismus zu sein scheinen. Wie Arme und Beine, die von einem Körper getrennt wurden und in der Lage sind, sich von ganz allein zu bewegen.«
»Es sind also keine Menschen?«
»Nicht ganz. Nicht im üblichen Sinn. Es sind sehr sonderbare
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