Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)

Titel: Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tullio Avoledo
Vom Netzwerk:
nach draußen ins Dunkle, ohne ihre Maske aufzusetzen.
    Durand fordert Bitka mit einem Wink auf, ihr zu folgen und sie zu schützen. Der Soldat läuft sofort los.
    Dann dreht sich der Hauptmann zu mir um.
    »Achte nicht auf ihre Worte. Es war nur eine hysterische Reaktion, weiter nichts.«
    »Was wollte sie damit sagen, als sie von einem Gott sprach, der Menschenopfer verlangt?«
    »Nichts. Leeres Gerede, weiter nichts. Lass uns jetzt gehen.«
    Durand wendet sich ab und will die Kirche verlassen, aber ich rühre mich nicht von der Stelle.
    »Einen Augenblick«, sage ich. »Ich muss noch etwas erledigen.«
    »Die Zeit ist knapp. Wir müssen jeden Moment der Dunkelheit nutzen.«
    »Einen Augenblick«, wiederhole ich und hole das Fläschchen mit dem Weihwasser und die alte Zahnbürste hervor, die ich als Weihwedel verwende.
    Durand schneidet eine Grimasse, als er die beiden Objekte sieht.
    »Ich warte draußen«, sagt er und geht.
    Mit ihm verschwindet das Licht seiner Taschenlampe aus der Kirche, und Dunkelheit deckt die vielen Leichen zu. Mit lauter Stimme spreche ich die Worte der Letzten Ölung.
    »Durch diese heilige Salbung helfe dir der Herr in seinem reichen Erbarmen, er stehe dir bei mit der Kraft des Heiligen Geistes …«
    Meine Worte klingen kalt, wie Wassertropfen, die in der dunklen Ecke einer eisigen Grotte zu Boden fallen. Die Ohren der Toten können sie nicht hören, und ihre Augen empfangen die Finsternis so, wie sie zuvor das Licht empfangen haben, mit schrecklicher Gleichgültigkeit. Aus Menschen sind Dinge geworden, kalt wie Marmor. Doch meine Religion verbietet mir, Dinge in ihnen zu sehen. Meine Religion verlangt von mir, für die Seelen zu beten, die einst in diesen Körpern wohnten.
    »… der Herr, der dich von Sünden befreit, rette dich, in Seiner Gnade richte er dich auf. Amen.«
    Nur der Wind antwortet auf mein Gebet. Der Wind und das Motorbrummen der beiden Hummer.
    Im wenigen Licht, das durch die offene Tür hereinkommt, stecke ich die Zahnbürste ins Weihwasser und bespritze die Toten vor mir und die wie Schlachtvieh an die Wand genagelten Kinder. Dann weiche ich langsam zurück, ohne den Toten den Rücken zu kehren, und verlasse die Kirche.
    Die anderen sitzen schon in den Geländewagen. Der von Diop gesteuerte Hummer rollt nervös vor und zurück, bewegt sich wie ein ungeduldiges Pferd. Der andere hupt zweimal. Ich steige rasch ein.
    »Wurde auch Zeit«, brummt Durand, der diesmal das Steuer übernommen hat. Feldwebel Wenzel sitzt neben ihm, mit der Schmeisser auf dem Schoß.
    »Ich habe den Toten die Letzte Ölung gegeben …«
    »Interessiert mich nicht. Wichtig ist nur, dass du fertig bist.«
    Durand fährt los.
    »Ich dachte …«, beginne ich.
    »Du dachtest was?«
    »Ich dachte, wir würden sie begraben. Oder wenigstens verbrennen. Wie die Frau in dem roten Wagen.«
    Durand schüttelt nur den Kopf.
    »Ich hab’s in Erwägung gezogen, aber nicht für sinnvoll gehalten«, erklärt Durand. »Erstens: Wir haben nicht genug Benzin. Zweitens: Das Feuer könnte sich ausbreiten und den ganzen Ort zerstören. Und das wollen wir nicht, weil man dort gut Unterschlupf finden kann.«
    »Das bezweifle ich. Die seltsamen Wesen ohne Gesicht …«
    »Man muss eben auf der Hut sein. Wir haben keine Verluste zu beklagen.«
    »Bei Jegor hat nicht viel gefehlt.«
    Durand zuckt mit den Schultern.
    »Er kann von Glück sagen. Hat nicht einmal einen Kratzer davongetragen.«
    Der Hauptmann überlegt kurz, bevor er antwortet: »Ja, scheint so.«
    Er fährt langsamer und dreht sich zu Adèle um, die in sich zusammengesackt auf dem Rücksitz hockt, die Augen halb hinter den Haaren verborgen.
    »Du hast gute Arbeit geleistet.«
    »Nein, das stimmt nicht. Wenn ich die richtigen Werkzeuge gehabt hätte …«
    »Du hast gute Arbeit geleistet«, betont Durand noch einmal. »Und jetzt sind wir dran.«
    Hinter uns sehe ich nur Dunkelheit, aber ich weiß, was sie enthält: einen Ort ohne Leben, leere Hügel, und einen Fluss, der ruhig durchs Tal fließt, wie seit vielen Jahrhunderten, unbeeindruckt von dem schrecklichen Tod, den die Menschen in der Kirche gestorben sind.

19
    GOTTES WERK?
    Drei Tage hat es gedauert, bis wir eine andere Gemeinschaft von Überlebenden fanden. Drei Tage, während denen ich froh darüber war, dass unsere Reise nachts stattfand. Ich sah nur Schnee, geborstene Mauern und die Reste einstiger Wälder. Die Nacht legte eine gnädige Decke über das, was einst Bäume waren und heute nur noch

Weitere Kostenlose Bücher