Die Wurzeln des Himmels: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
schwarze Stümpfe sind. Gelegentlich mussten wir die Autobahn verlassen, weil die ineinander verkeilten Schrotthaufen von Lastern und Autos den Weg versperrten. Langsam fuhren wir über Landstraßen und Wege, durch dunkle Dörfer und eine Landschaft, die mit dem einstigen Bel Paese , dem »schönen Land«, wie man Italien nannte, keine Ähnlichkeit mehr hatte. Zwanzig Jahre nach der Katastrophe fiel der Schnee noch immer schmutzig. Unsere Schuld hat Luft und Wasser vergiftet, vielleicht für immer. Das Leben scheint ein nutzloser Anspruch zu sein, ein Akt des Stolzes, der Strafe herausfordert. Und in unserer schrecklichen neuen Welt gibt es nur eine Strafe. Wir können sie nur ein wenig hinausschieben, ihr aber nicht entrinnen. Denn die Wunden, die wir der Erde zugefügt haben, lassen sich nicht heilen.
Zwei Nächte (beziehungsweise Tage) haben wir in improvisierten Unterkünften verbracht, die erste in einer leeren Garage unweit einer Tankstelle, aus der wir genug Benzin herausholen konnten, um das Ziel der nächsten Etappe zu erreichen, eine weitere Tankstelle in der Nähe von Perugia.
In einer Garage zu schlafen, nur von dünnen Blechwänden geschützt, gibt einem nicht das Gefühl der Sicherheit, das wir in dem verlassenen Gebäude von Torrita Tiberina hatten. Beim ersten Halt entzündeten wir ein Feuer in einer rostigen Tonne und fütterten es mit Pappe, alten Zeitungen und Holz von einigen zerbrochenen Paletten. Zum Glück ist in diesem Gebiet kein Fallout niedergegangen. Dass es hier nicht besser aussieht als anderenorts, liegt am nuklearen Winter. Es wird Jahrhunderte, wenn nicht gar Jahrtausende dauern, bis diese Erde wieder grün wird und der Himmel blau. Jetzt gibt es keine Farben, nur endlose Grauschattierungen.
Das Blau kehrte zurück, als wir schliefen. Es erschien mir im Traum.
Getragen von der Frau, die mich schon einmal im Traum besuchte, in der Stazione Aurelia.
In dieser Nacht wirkt die junge Frau traurig. Auch diesmal sehe ich von ihr nur den Mund mit den herrlich vollen Lippen und den Glanz der Augen im Schatten der Kapuze. Doch das genügt mir, um in diesem Traum glücklich zu sein, wie ein Kind in den Armen seiner Mutter.
Die Lippen bewegen sich und formulieren meinen Namen.
Von jenem Mund gesprochen, klingt er sanft und schön.
Hinter ihr ist diesmal nicht das Meer zu sehen, sondern eine wundervolle Stadt. Die Gebäude scheinen aus Glas zu bestehen, oder aus Zuckerwatte. Mosaike, so prächtig wie in einem Königspalast, verzieren die Fassaden der Gebäude, die an den Ufern eines Flusses mit kristallklarem Wasser aufragen.
»Die Realität ist nicht mehr so wie einst«, murmelt die Frau, und es klingt nach einem Lied. »Aber es gibt noch immer wundervolle Orte. Dies ist ein Ort ohne Schatten.«
Wie in einem Tanz dreht sie sich um die eigene Achse, und die Realität dreht sich um sie, zerbricht und setzt sich neu zusammen. Die Gebäude sind jetzt Ruinen, und vom Fluss ist nur Schlamm übrig, voller Schrott und Leichen.
Aber über allem strahlt wie die Sonne das Lächeln der Frau mit der Kapuze.
»Ich heiße Alessia. Such mich, wenn du die Stadt des Lichts erreichst.«
»Und wenn ich dich nicht finde?«, frage ich verwirrt.
»Dann muss ich dich finden.«
Das Erwachen aus dem Traum war traurig wie ein Abschied. Wie die Worte, die ich gern an meine Eltern gerichtet hätte, wenn es am Tag des Leids nur möglich gewesen wäre, sie zu erreichen. Aber die Telefone blieben stumm, bis heute. Sie sind unausgesprochen geblieben, jene Worte, sie stecken mir wie ein Glassplitter im Herz. Die Frau aus meinem Traum zu verlieren hat mir ähnlichen Schmerz bereitet.
Ich frage mich, wie viel ein menschliches Herz ertragen kann. Wie sehr ich bedauere, keine Bibel dabeizuhaben. In ihrem Text hätte ich sicher Trost gefunden. Doch Bücher sind zu wertvoll, als dass man leichtfertig ihren Verlust riskieren darf. Ich muss die tröstenden Worte in meiner Erinnerung suchen, und dort scheinen sie verblasst zu sein, weniger lebendig als früher.
Auch die zweite Übernachtung – oder sollte ich besser »Übertagung« sagen? – fand in unmittelbarer Nähe einer Tankstelle statt, in einer Werkstatt, deren Dach zum Teil fehlte. Wir mussten das Loch so gut es ging mit Blechteilen und Karton flicken. Es war ziemlich kalt, aber wir wagten es nicht, ein Feuer anzuzünden, aus Furcht, dass jemand den Rauch aufsteigen sah, und weil das Feuer zu leicht außer Kontrolle geraten konnte – immerhin bestand das Dach
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