Die Yoga-Kriegerin

Leben erhängt wurdest, kann es sein, dass bei der nächsten Inkarnation die Nabelschnur um dich gewickelt war, oder du könntest einen Tumor im Hals bekommen. Die Vergangenheit hielt Lektionen für die Gegenwart bereit. Man musste nicht an diese Art von spiritueller Entwicklung glauben, damit sie funktionierte, erklärte mir Dr. Netherton. Gut, denn ich fand das alles lächerlich. Aber zum Teufel, ich würde es zumindest mal probieren.
    Wir begannen, uns zu wöchentlichen Sitzungen zu treffen. Ich kam rein, setzte mich auf die Couch und Dr. Netherton führte mich. Zuerst brachte er mich in einen entspannten, fokussierten Zustand, und Flashbacks kamen auf.
    Ich werde ertränkt. Ich werde zu Tode verbrannt. Sie foltern mich. Sie stapeln Felsen auf meine Brust; ich werde zermalmt und ich kann nicht mehr atmen.
    Es klang für mich immer lächerlich, wenn ich diese Fragmente an schließend Dr. Netherton beschrieb. »Ich glaube nicht an dieses Zeug«, sagte ich. »Woher weiß ich, dass ich das alles nicht bloß erfinde?« Er blieb unbeeindruckt. »Ja, ja, Sie denken, Sie erfinden das? Also erfinden Sie eine neue Geschichte, genau jetzt.« Aber immer wenn ich es probierte, funktionierte es nicht; irgendetwas in Bezug auf diese Fragmente fühlte sich wahr an. »Kümmern Sie sich nicht darum, das einzuordnen«, sagte mir Dr. Netherton. »Es wird cha­ otisch herauskommen. Es wird sich nach und nach ordnen. Es wird sich anfangs erniedrigend anfühlen.«
    Ich fand nicht einmal die Worte, um zu erklären, was mit mir passierte. Ich wollte es nicht akzeptieren. So passieren die Dinge nicht , dachte ich mir. Mein gesamtes Glaubenssystem wurde in den Orkus geblasen, aber ich dachte mir, ich bleib einfach dran und schaue, was passiert.
    Extremer Starrsinn schien mich von einem Leben zum nächsten zu begleiten. Es war schon eine peinliche Feststellung, dass ich vor tau send Jahren ein antiautoritäres Arschloch gewesen war und mich nicht verändert hatte. Was genau schaffte ich nicht zu lernen, mit dem ich fertigwerden musste? Aber ich war auch erfreut darüber, dass ich schon viel früher entschlossen war, das Leid meines Volkes zu beenden. Ich begann, den Unterschied zu begreifen dazwischen, jemanden zu retten und dieser Person beizubringen, ihr Leid zu beenden. Ich begann, die Schönheit meiner selbstlosen Wünsche zu sehen, selbst wenn sie neu geformt werden mussten. Ich stellte fest, dass die Definition von dem, wer ich wirklich bin, unermesslich war. Sie erstreckte sich über Jahrtausende. Mir kam auch der Gedanke: Hey, was immer ich auch als Kind durchmachen musste, es kann nicht so schlimm gewesen sein, wie vierhundert Mal zu sterben , das gab mir also den Mut, mich langsam in meine Vergangenheit zu rückzuschleppen. Ich sagte Dr. Netherton, dass ich bereit sei, in meine Kindheit zurückzugehen.
    Dr. Netherton begann jede Sitzung damit, einen Einstiegspunkt zu finden – einen bösen Traum, einen merkwürdigen Phantom schmerz – als einen Weg in meine Vergangenheit. Ich sollte mich hinlegen – er fasste mich niemals an – und mich zum Beispiel auf einen schmerzhaften Punkt in meinem Körper konzentrieren. »Wann ist das erste Mal etwas passiert, was diesen Schmerz ausgelöst hat?«, fragte er. Meistens erhielt ich keine Antworten, nur Lücken. Aber all mählich fing ich an, mich für den Prozess zu öffnen. Unsere Ter mine waren immer dienstags; mein Körper begann sich so an die Sitzungen zu gewöhnen, dass er Empfindungen sammelte, die wir unter suchen konnten. »Was passiert heute?«, fragte Dr. Netherton. »Ver binden Sie sich mit der Zeit.« Ich erstarrte. Dann: Ein blaues Zimmer. Ein weißes Zimmer. Ein Zimmer aus Betonziegeln.
    Ich wache auf. Wo bin ich? Au. Au. Au. Alles da unten ist wund und tut weh, alles. Sie haben mich sauber gemacht.
    Ich stieß immer wieder auf diese Erinnerungslücken, Lücken und wieder Lücken. Ich wollte wirklich gesunden, aber meine innere Re aktion war: Nie im Leben! Ich konnte da nicht hineingehen. Ich konnte in alle vergangenen Leben hineingehen – die Schlachtfelder, das Kriegsgebiet, ein enges Cockpit als grau gekleidete Pilotin im Zweiten Weltkrieg – doch ich war nicht dazu bereit, in meine Kindheit zu gehen.
    Dr. Netherton ging es langsam an. Ich erzählte ihm von einem Schmerz, der immer wieder auftrat, und er sagte: »Verbinden Sie sich mit dem ersten Mal, als Sie diese zermalmende Empfindung in Ihren Rippen hatten.« Hmmm.
    Baumstumpf.
    »Was sehen Sie noch auf dem