Die Yoga-Kriegerin
war die Mauer wieder da: fest, kalt, undurchlässig. Ich wusste nicht, wie ich mich fühlen sollte. Einerseits spürte ich eine große Erleichterung. Andererseits fühlte ich mich zerstörter denn je – zu zerstört, um zu leben.
Ich sprach mit Leuten, die auch dabei waren, ihren sexuellen Missbrauch zu bewältigen. Es half mir schon, dass sie nicht dachten, dass ich verabscheuungswürdig sei. Sie waren nicht entsetzt. Ich lernte durch Ausprobieren, mit wem es gut war, darüber zu sprechen, und mit wem nicht. Die Leute konnten das hässliche Zeug nur so lange hören, bis es ihnen bis oben stand. Ich brauchte eine ganze Weile, bis ich aufhörte, ihnen oder mir deswegen Vorwürfe zu machen; manche hatten eine sehr niedrige Belastbarkeitsgrenze, bei anderen wie derum war sie sehr hoch, aber an einem gewissen Punkt konnten auch sie nicht mehr weiter zuhören. Das bedeutete nur, dass ich in der Lage sein musste, mit anderen darüber zu reden oder es in die Therapie mitzunehmen. Mein Verhalten war im Hinblick auf mein Erlebnis sehr bulimisch: Wenn bei mir ein Schalter umgelegt wurde und ich zu reden begann, konnte ich nicht mehr aufhören. Ich kotzte es aus auf den, der gerade in meiner Nähe war. John bekam die volle Wucht meines Albtraums und meiner Verachtung und Ver wirrung ab. Ich zog mich von ihm zurück, damit nicht er sich zu erst von mir zurückziehen konnte, obwohl ich unsere Beziehung sehr schätzte.
Eines Tages waren Dr. Netherton und ich in einer Sitzung, als eine besonders schreckliche Erinnerung aus dem Dunklen auftauchte.
Ich bin in einem Keller aus Betonziegeln, wie in einem Gefängnis, alleine, kalt. Es gibt ein winziges Fenster mit einem schwachen Schim mer Tageslicht. Ich blicke hinaus und wünsche mir verzweifelt, da draußen zu sein, doch ich weiß, ich werde für immer hier eingesperrt bleiben. Niemand kann mir helfen. Niemand wird mich retten.
Als ich die Sitzung mit all den grässlichen Details verließ, fuhr ich hinaus in das absolut verschmutzte Pasadena. Es war einer jener Tage mit Smogalarm, an denen die Luft so widerlich ist, dass man sich am liebsten ins Bett verkriechen und die Decke über den Kopf ziehen möchte. Aber jetzt war ich in der Lage, mich daran zu freuen, dass ich draußen war – der Himmel, die Bäume, der glitzernde Asphalt in der Sonne. Ich fuhr nach Hause, heraus aus diesem Keller. Freiheit! Wegen dieser Erinnerungen hätte ich völlig am Boden zer stört wegfahren können, doch stattdessen realisierte ich, dass ich überlebt hatte. Das kleine Mädchen, das entmutigt aus diesem win zigen Fenster geblickt hatte, hatte die Hoffnung aufgegeben, dass sie ein Leben haben könnte, aber meine Seele, mein Spirit waren nicht so zerbrochen, dass sie nicht hätten repariert werden können. Ich war verblüfft von der Schönheit der Welt in all ihrer stinkenden, smogerfüllten Pracht. Diese Welt ist fantastisch, und ich bin ein Teil von ihr.
Aber genau wie die Ampeln vor mir rot und grün aufleuchteten, gingen meine Gefühle an und aus. Erleichterung/Grauen. Ich habe überlebt./Ich bin so verdorben. Ich war nicht zu reparieren. Wie konnte ich mir selbst vertrauen, in dieser Welt zu leben und andere nicht zu zerstören?
Langsam half mir Dr. Netherton mit dem, was mir angetan wurde, fertigzuwerden. Eine weitere intensive Erinnerung stieg auf.
Ich bin vielleicht zwei oder drei Jahre alt. Sie sagen schreckliche Dinge über mich. Schreckliche Dinge werden mit meinem Körper gemacht. Rumms! Mein Kopf wird gegen etwas Hartes geschmettert. Um mich herum wird es dunkel.
Ich habe schreckliche Angst. Sie filmen. Sie nennen es Probeaufnahmen. Ich möchte verzweifelt, dass mich jemand rettet, aber ich weiß, dass niemand kommen wird. Schock. Terror. Schmerz. Ich spüre wieder dieses benebelte Gefühl.
Damit hatte Dr. Netherton etwas angezapft, was er als Schlüsselerlebnis bezeichnet. Er fragte sich, ob diese Kopfverletzungen, all diese körperlichen und seelischen Traumata, die ich erlitten hatte, even tuell meine epileptischen Anfälle erklären könnten, obwohl ich selbst nicht einmal einen Namen für das hatte, was mit mir passiert war, bis ich diesen Anfall im Zug nach Guadalajara hatte, wo ich meine Yogaausbildung absolvieren wollte. Wie oft war ich benebelt aufgewacht? Ich war immer erschöpft, weil ich Angst hatte zu schlafen, wenn diese fürchterlichen Albträume mich einholten. Wenn ich aufwachte, fühlte ich mich oft wund und hatte Schmerzen. Es war nicht ungewöhnlich, Blut in
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