Die Zaehmung
Bruder so, wie er einst war, wiederbekommen. Ich sehe keinen Grund, mich mit Severns Mätresse zu treffen.«
Gaby zeigte den Anflug eines schwachen Lächelns. »Man munkelt, daß Lord Severn und seine ... die Lady Iolanthe ebenfalls Krach miteinander haben. Vielleicht möchte sie Euch ihre Sympathien ausdrücken.«
Liana wollte wirklich mit jemandem reden. Gaby lag ihr ständig in den Ohren, sie müsse Rogan alles verzeihen. Sie meinte, Liana sollte zu ihm gehen und um Entschuldigung bitten; aber Liana war überzeugt, daß Rogan sie zurückweisen würde. Wie konnte eine Frau mit einem so gewöhnlichen Gesicht wie dem ihren irgendeinen Einfluß auf einen Mann wie Rogan haben? Und wie konnte eine Frau von so blendendem Aussehen wie Iolanthe Lianas Probleme verstehen? »Sag ihr, daß ich die Einladung nicht annehmen kann«, beschied Liana Gaby.
»Aber, Mylady, sie hat Euch in ihre Gemächer eingeladen. Wie ich hörte, hat sie bisher noch keinen zu sich in die Wohnung gelassen.«
»Oh?« gab Liana zurück. »Ich soll zu ihr kommen? Ich, die Herrin dieser Burg und Grafschaft, soll die verheiratete Mätresse meines Schwagers aufsuchen? Sag ihr, daß das nicht in Frage kommt.«
Gaby verließ den Söller, und Liana blickte wieder auf ihren Teppichrahmen. Sie war empört über die Anmaßung dieser Frau, aber andrerseits war sie auch neugierig. Was hatte ihr diese schöne Iolanthe wohl zu sagen?
Die Einladung wurde drei Tage lang täglich wiederholt und jedesmal von Liana zurückgewiesen. Doch am vierten Tag blickte Liana zufällig aus dem Fenster und sah eine von den Wochentagen mit ihrem üppigen Busen, der ihr grobes Wollkleid mächtig spannte, unten im Burghof stehen.
Liana drehte sich zu Joice um. »Hol mir mein rotes Brokatkleid — das mit dem Unterrock aus goldgewirktem Stoff. Ich werde einen Besuch machen.«
Eine Stunde später war Liana so zurechtgemacht, daß ihre Figur und ihr Gesicht, soweit das möglich war, überaus vorteilhaft zur Geltung kamen. Sie mußte, um ihrer Einladung nachzukommen, über den Burghof gehen, und spürte, wie die Augenpaare aller dort Anwesenden auf ihr ruhten. Doch sie blickte weder nach links noch rechts und ignorierte sie alle.
Als sie endlich die Gemächer von Iolanthe erreicht hatte und ihr dort eine Kammerfrau die Tür öffnete, brauchte Liana eine Weile, um ihre Fassung wiederzufinden — und ihren Mund zuzumachen. Noch nie hatte sie einen Raum von solcher Pracht gesehen. Überall standen Platten und Teller aus Silber und Gold. Auf dem Boden lagen Teppiche — herrlich gemusterte, übereinander gelegte Teppiche. Die Wände waren mit Teppichen aus Seide verhangen — mit den verschiedenartigsten Bildmotiven, die so dicht und fein gewebt waren, daß eine Blume von der Breite eines Daumennagels ein Dutzend Farben in sich vereinte. Die Balkendecke war mit pastoralen Szenen bemalt, die Fenster hatten in Blei gefaßte bunte Gläser, die funkelten und strahlten wie Juwelen.
Und im Raum standen geschnitzte Sessel mit gepolsterten Sitzfläche, geschwungene und beschnitzte Nährahmen und herrliche, mit Elfenbein eingelegte Truhen. Wo sie auch hinsah — überall entdeckte sie irgendeinen Gegenstand von erlesener Schönheit.
»Willkommen«, sagte Iolanthe, und in ihrem aus Silberfäden gewirkten Gewand war sie das schönste Objekt im Zimmer.
»Ich . . .« Liana holte Luft, um ihre Haltung wiederzufinden. »Ihr habt mir etwas zu sagen?« Eigentlich hatte sie sich vorgenommen, dieser Frau zu sagen, wie unmoralisch sie wäre und daß sie auf ewig in die Hölle verdammt würde, weil sie mit einem Mann verheiratet war, jedoch in
Sünde mit einem anderen lebte; aber in Iolanthes Gegenwart wollten ihr solche Worte nicht über die Lippen kommen.
»Wollt Ihr Euch nicht setzen? Ich habe etwas zu essen für uns vorbereiten lassen.«
Liana nahm den Sessel, den Iolanthe ihr angeboten hatte, an, und nippte dann an einem mit Rubinen besetzten goldenen Kelch, der mit Wein gefüllt war.
»Ihr werdet zu ihm gehen müssen«, sagte Iolanthe. »Er ist zu sturköpfig, um Euch nachzugeben, und außerdem bezweifle ich, ob er weiß, wie er das anstellen soll.«
Liana stellte den Kelch mit einiger Heftigkeit auf den Tisch zurück und stand auf. »Ich möchte davon nichts hören. Er hat mich zum wiederholten Male beleidigt, und dies ist die letzte Zumutung für mich gewesen.« Damit schritt sie zur Tür.
»Wartet!« rief Iolanthe ihr nach. »Bitte, kommt zurück. Das war wohl nicht sehr höflich von
Weitere Kostenlose Bücher