Die Zaehmung
Gesicht. »In drei Monaten? Wäre dir das recht, Tochter?«
Liana blickte Helen an, und statt ihre Stiefmutter zu hassen, dachte sie daran, wie Helen sich bereitgefunden hatte, ihr als Jungfer im Haushalt der Nevilles das Zepter zu überlassen. Vielleicht haßte Helen sie also gar nicht. »Ich werde neue Kleider brauchen«, sagte Liana leise. »Und Einrichtungsgegenstände für einen Hausstand. Glaubst du, du könntest mir bei der Auswahl der nötigen Sachen helfen?«
Helen blickte sie düster an. »Ich kann dich nicht dazu bringen, deinen Entschluß zu ändern?«
»Nein«, erwiderte Liana, »das kannst du nicht.«
»Dann werde ich dir helfen«, sagte Helen. »Wenn du sterben willst, werde ich dir dabei helfen, deine Leiche zur Beerdigung vorzubereiten.«
»Vielen Dank«, sagte Liana lächelnd und verließ das Zimmer mit einem wunderbaren Gefühl der Erleichterung und des Glücks. Sie hatte eine Menge zu tun in den nächsten drei Monaten.
Das Banner der Peregrines, das einen weißen Falken auf rotem Grund zeigte mit drei Pferdeschädeln in einem Band, das quer über die Brust des Vogels hinlief, flatterte über dem Lagerplatz. Die Männer schliefen teils in Zelten, teils unter den Troßwagen; doch Rogan und Severn lagen auf Decken unter freiem Himmel, umgeben von ihren Waffen.
»Ich begreife nicht, warum sie beschlossen hat, dich zu heiraten«, sagte Severn zum zehnten Male. Darüber rätselte er von dem Augenblick an, als Gilbert Neville ihnen eröffnet hatte, seine Tochter nähme den Antrag seines Bruders an. Rogan hatte nur mit den Achseln gezuckt und dann begonnen, auszuhandeln, was zu ihrer Mitgift gehören sollte.
Weder Rogan noch Gilbert schienen sich darüber zu wundern, wie seltsam es doch war, daß die junge Frau, die fast alle Edelleute Englands verschmäht hatte, ausgerechnet Rogan erwählte, ohne ihn zuerst zu sehen.
»Sie hat alle anderen Freier abgewiesen«, sagte Severn laut. »Nicht, daß ich etwas dagegen einzuwenden habe, einem Mädchen zu gestatten, sich ihren Ehemann selbst auszusuchen — aber warum sollte sie wohl einem Mann wie Stephen Whitington einen Korb geben?«
Rogan drehte sich auf die andere Seite — weg von seinem Bruder — und schnaubte: »Das Mädchen hat eben einen Kopf auf ihren Schultern. Sie hat die richtige Wahl getroffen.«
Nun war Severn an der Reihe, zu schnauben: »Da steckt doch mehr dahinter, als du mir sagen willst. Du hast das Mädchen doch hoffentlich nicht in einem stillen Kämmerlein verführt, oder?«
»Ich habe es nie gesehen! Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, den alten Neville dazu zu verführen, sich von einem möglichst großen Batzen seines Goldes zu trennen. Vielleicht hat er das Mädchen verprügelt und ihm gesagt, wen es zu heiraten habe, wie er das schon von Anfang an hätte tun sollen.«
»Vielleicht«, stimmte Severn ihm zu. »Aber ich denke trotzdem, daß du . . .«
Wieder drehte sich Rogan um und blickte seinen Bruder zornig an. »Ich sagte dir doch, daß ich das Mädchen nie gesehen habe. Ich war von morgens bis abends mit Neville zusammen!«
»Außer in den paar Stunden, die du allein unterwegs warst, ehe wir zu der Burg von Neville ritten.«
«Ich habe nicht...« begann Rogan, hielt dann aber inne, als er sich wieder auf das Mädchen besann, das sich über seine Kleider beschwert hatte. Sie war ihm erst in diesem Moment wieder eingefallen. Er durfte nicht vergessen, nach ihr zu suchen, wenn er in drei Monaten zu seiner Hochzeit wieder in diese Gegend kam. »Ich habe die Erbin nicht gesehen«, sagte Rogan leise. »Ihr Vater muß diese Ehe gestiftet haben. Er ist ein Narr, und mit einem Dutzend Falken könnte ich ihm seine Seele abkaufen.«
»Ich bezweifle, daß du ihm so viel dafür bezahlen müßtest«, meinte Severn verächtlich und schwieg dann einen Moment. »Warst du denn nicht wenigstens neugierig auf diese Frau? Ich würde ein Mädchen, das ich heiraten soll, jedenfalls sehen wollen, ehe ich mich mit ihm vermähle. Wie sollte ich sonst wissen, ob man mir nicht etwas Altes und Dickes andreht?«
»Was kümmert mich eine Ehefrau? Es war ihr Land, hinter dem ich her war. Und jetzt leg dich hin und schlafe, kleiner Bruder, denn morgen ist Mittwoch, und Mittwoch verlangt dir eine Menge Kraft ab.«
Severn lächelte im Dunklen. Morgen würde er Iolanthe Wiedersehen, und alles würde wieder so sein wie sonst. Doch in drei Monaten würde Lady Liana Neville in ihr Leben treten, und trotzdem würde alles beim alten bleiben; denn
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