Die Zaehmung
meine Stieftochter von ihrem eigenen Hochzeitsfest wegholen?«
Rogan verstand nicht, warum diese Frauen ein solches Gezeter wegen der Hochzeitsfeier machten. Wenn ihnen so sehr an dem Essen lag, konnten sie doch so viel davon einpacken, wie sie wollten. »Ich werde das Mädchen schon nicht verhungern lassen«, sagte er in dem Bemühen, den Haß zu mildern, der ihm aus Helens Augen entgegensprühte. Er war nicht daran gewöhnt, daß Frauen ihn haßten. Größtenteils waren sie so wie das Mädchen, das er heute geheiratet hatte — sie himmelten ihn an.
»Ihr werdet sie verhungern lassen«, erwiderte Helen, »wie Euer Vater seine Ehefrauen an Mangel von Wärme und Freundschaft zugrunde gehen ließ.« Sie senkte die Stimme. »Wie Ihr Jeanne Howard habt verhungern lassen.«
Helen wich einen Schritt zurück, als sie den Ausdruck auf Rogans Gesicht sah. Seine Augen waren hart geworden, und er blickte sie so wütend an, daß sie zu zittern begann.
»Komm ja nicht mehr in meine Nähe, Frau«, sagte er kalt mit drohendem Unterton. Dann ging er an ihr vorbei, achtete nicht der Zurufe der Gäste, sich zu ihnen zu setzen und mit ihnen anzustoßen, und trat hinaus in den Burghof.
Jeanne Howard, dachte er. Er hätte dieser Frau den Hals umdrehen können, daß sie zu ihm von Jeanne gesprochen hatte; aber es erinnerte ihn zugleich daran, daß er auf der Hut sein mußte bei seiner neuen Frau, damit sie ihm nicht mit ihren hübschen blauen Augen und blonden Haaren den Kopf verdrehte.
»Du siehst so aus, als möchtest du jemanden mit der Lanze durchbohren«, sagte Severn mit aufgeräumter Stimme. Sein Gesicht war gerötet von den Speisen und Getränken, die er im überreichen Maße genossen hatte.
»Bist du reisefertig?« fauchte Rogan als Antwort. »Oder haben dich die Dirnen, mit denen du ins Heu gehen mußtest, so sehr abgelenkt, daß du darüber über meinen Auftrag vergessen hast?«
Severn war an die ständige Gereiztheit seines Bruders gewöhnt, und er hatte viel zu viel Wein getrunken, um sich nun über Rogans Worte aufzuregen. »Ich habe deinen Wunsch vorausgesehen und ein Fuhrwerk mit Nahrungsmitteln beladen lassen. Werfen wir nun die Federkissen aus den Wagen, oder nehmen wir sie mit?«
»Wir lassen sie zurück«, gab Rogan schroff zurück, zögerte dann aber. Im Geist hörte er wieder Helen Neville sagen: »Wie Ihr Jeanne Howard habt verhungern lassen.« Er hatte ein Gefühl dabei, als würde ihm ein Messer in den Leib gestoßen. Das Mädchen, das er geheiratet hatte — wie hieß es doch gleich? —, schien einfältig und harmlos zu sein. »Meinetwegen soll sie ihre Federmatratzen behalten«, meinte er dann grollend zu Severn und ging dann weiter, um die Reisevorbereitungen seiner Männer zu überprüfen.
Severn blickte seinem Bruder nach und fragte sich, was für ein Mensch wohl seine hübsche kleine Schwägerin sein mochte.
Kapitel fünf
Liana beeilte sich nun, zu der verabredeten Zeit fertig zu sein. Sie gab ihren Mägden Anweisungen, alle ihre neuen Kleider einzupacken, und achtete darauf, daß sie nicht vergaßen, ihre persönlichen Sachen aufzuladen. Drei Stunden waren eine so verflucht kurze Zeit, sich für ihr neues Leben vorzubereiten.
Und während sie hierhin und dorthin eilte, hielt Joice ihr ununterbrochen Vorträge.
»Beklagt Euch niemals«, sagte Joice. »Männer hassen Frauen, die sich beklagen. Ihr habt zu nehmen, was er Euch gibt, und dürft ihm niemals widersprechen. Sagt ihm, daß Ihr froh seid, Euer Hochzeitsfest verlassen zu können — froh, daß er Euch drei Stunden Zeit zur Vorbereitung gelassen hat. Männer mögen Ehefrauen, die immer bei guter Laune sind und lächeln.«
»Er hat mir bisher nicht gezeigt, daß er mich mag«, erwiderte Liana. »Er hat überhaupt keine Notiz von mir genommen. Außer in den wenigen Minuten, die er brauchte, um das Risiko einer Annullierung zu beseitigen«, setzte sie mit einiger Bitterkeit hinzu.
»Es kann Jahre dauern«, sagte Joice. »Männer verschenken nicht so leicht ihr Herz; aber wenn Ihr hartnäckig bleibt, wird die Liebe zu Euch kommen.«
Und das ist es, was ich mir wünsche, dachte Liana bei sich. Sie wollte, daß ihr schöner Ehemann sie liebte und sie brauchte. Wenn sie dafür hin und wieder ein bißchen Ärger hinunterschlucken mußte, damit er sie letztendlich liebte, nahm sie das gern in Kauf.
Sie war reisefertig, ehe die Frist von drei Stunden abgelaufen war, und ging hinunter, um ihrem Vater und ihrer Stiefmutter Lebewohl zu sagen.
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