Die Zaehmung
Getreidekörnern bewarfen und riefen: »Reichlich, reichlich!« Drei Tage und drei Nächte lang würden jeder Mann, jede Frau und jedes Kind so viel zu essen und zu trinken bekommen, wie sie bei sich behalten konnten.
Nachdem die Gesellschaft über die Zugbrücke in den Innenhof der Burg geritten war, blieb Liana auf ihrem Pferd sitzen und wartete darauf, daß ihr Gatte sie aus dem Sattel hob. Statt dessen mußte sie zusehen, wie Rogan und sein Bruder Severn vom Pferd stiegen und zu den beladenen Wagen gingen, die entlang der Steinmauer aufgefahren waren.
»Ihm liegt deine Mitgift mehr am Herzen als du«, sagte Helen, als ein Diener Liana vom Pferd half.
»Du hast dich jetzt genug über ihn beschwert«, schnaubte Liana. »Du bist nicht allwissend. Vielleicht hat er Gründe für sein Verhalten.«
»Ja. Zum Beispiel der Grund, daß er ein Unmensch ist«, sagte Helen. »Es hat keinen Sinn, dich daran zu erinnern, was du dir selbst angetan hast. Dafür ist es nun zu spät. Sollen wir hineingehen und essen? Nach meiner Er-fahrung kommen Männer immer nach Hause, wenn sie hungrig sind.«
Doch Helen irrte sich in diesem Punkt; denn weder Rogan noch seine Mannen kamen zu dem Fest, das Liana wochenlang vorbereitet hatte. Statt dessen blieben sie draußen und besichtigten die Wagen, die mit Lianas Mitgift beladen waren. Sie saß allein zur Rechten ihres Vaters, und der Platz des Bräutigams neben ihr blieb leer. Sie konnte das Flüstern der Gäste hören und spüren, wie sich mitleidige Blicke von allen Seiten auf sie richteten. Doch sie hielt den Kopf hoch und ließ sich nicht anmerken, wie verletzt sie sich fühlte. Sie redete sich ein, daß es ein gutes Zeichen sei, wenn ihr Gatte sich für seinen Besitz interessierte. Ein Mann, der so genau auf sein Geld achtete, würde es nicht leichtsinnig vergeuden.
Nach ungefähr zwei Stunden, als die meisten mit ihrer Mahlzeit schon fertig waren, kam Rogan mit seinen Männern in die Halle. Liana lächelte; denn jetzt würde er sicherlich zu ihr kommen, sich entschuldigen und ihr erklären, was ihn so lange aufgehalten hatte. Statt dessen blieb er neben Gilberts Stuhl stehen, angelte sich ein zwei Pfund schweres Stück Rinderbraten vom Tisch und begann daran zu nagen.
»Drei Wagen sind mit Federmatratzen und Kleidern beladen. Ich möchte, daß man diese Sachen gegen Gold austauscht«, sagte Rogan mit vollem Mund.
Gilbert hatte nichts mit dem Beladen der Wagen zu schaffen gehabt und konnte deshalb zu Rogans Forderung keine Stellung nehmen. Er öffnete zwar den Mund, um etwas zu sagen, brachte aber keinen Ton heraus.
Helen hatte in dieser Hinsicht keine Probleme. »Die Matratzen sind für die Wohlfahrt meiner Tochter bestimmt. Ich glaube nicht, daß Eure Burg auch nur über den geringsten Komfort verfügt.«
Rogan richtete nun seine kalten, harten Augen auf Helen, und diese hätte fast klein beigegeben. »Wenn ich die Meinung einer Frau hören möchte, werde ich Sie fragen.« Er blickte wieder Gilbert an. »Ich lasse gerade eine Aufstellung machen. Ihr werdet es bereuen, falls Ihr mich betrogen haben solltet.« Damit trat er wieder vom Tisch weg und wischte sich die fettigen Hände, nachdem er den Braten verschlungen hatte, an dem wunderschönen samtenen Umhang ab, den Liana für ihn hatte nähen lassen. »Ihr könnt Eure Federn behalten.«
Helen war im nächsten Moment auf den Beinen und baute sich vor Rogan auf. Er war viel größer als sie, überragte sie um mindestens einen Kopf; doch ihr Zorn gab ihr Mut. »Eure eigene Frau — die Frau, die Ihr zu übersehen geruht — hat das Beladen der Wagen überwacht und Euch nicht betrogen. Was die Einrichtungsgegenstände anbelangt, so werden diese die Braut in ihr neues Heim begleiten, oder sie wird hier im Haus ihres Vaters bleiben. Entscheidet Euch, Peregrine, oder ich werde die Heirat annullieren lassen. Meine Tochter geht nicht nackt aus meinem Haus.«
Es wurde ganz still im Saal. Nur das Schnüffeln eines Hundes in einer Ecke des Raumes konnte man noch hören, und auch dieses verstummte bald. Gäste, Akrobaten, Sänger, Musikanten und Gaukler — alle unterbrachen das, was sie gerade taten, und sahen zu dem hochgewachsenen hübschen Mann und der eleganten Frau hin, die sich da gegenüberstanden.
Einen Moment lang schien Rogan nicht zu wissen, was er sagen sollte. »Die Ehe ist geschlossen.«
»Und nicht vollzogen«, gab Helen scharf zurück. »Es wäre ein leichtes, sie für ungültig erklären zu lassen.«
Der Zorn in
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