Die Zaehmung
Gilbert war betrunken, redete mit einigen Männern über Falken und fand kaum ein Wort des Abschieds für seine einzige Tochter; aber Helen umarmte sie heftig und wünschte ihr das Allerbeste von der Welt.
Als die Ritter der Peregrines draußen im Burghof in den Sattel stiegen, das große weiße Falkenbanner entrollten und auf den Befehl zum Abmarsch warteten, empfand Liana einen Moment lang Panik. Sie ließ nun alle Leute, die sie kannte, hier in der Burg zurück und vertraute ihr Schicksal diesen fremden Männern an. Sie stand wie angewurzelt da und blickte sich suchend nach ihrem Gatten um.
Rogan, der auf einem mächtigen rotbraunen Hengst saß, ritt vor sie hin — so dicht, daß sie den Arm heben mußte, um ihr Gesicht vor herumfliegendem Kies zu schützen — und sagte: »Steig in den Sattel und reite, Frau.« Damit begab er sich wieder an die Spitze seiner Männer.
Liana barg ihre Fäuste in den Falten ihres Rocks. Den Ärger hinunterwürgen, ermahnte sie sich, und versuchte, trotz seiner Grobheit die Ruhe zu bewahren.
Aus der Staubwolke, die Rogan hinterlassen hatte, kam Rogans Bruder, Severn, heraus und lächelte sie an. »Darf ich Euch in den Sattel helfen, Mylady?« fragte er.
Liana entspannte sich sofort und lächelte diesen hübschen Mann an. Er war genauso schäbig gekleidet wie Rogan noch am Abend vor der Hochzeit, und seine dunkelblonden Haare waren zu lang und zu verfilzt an den
Rändern, aber er lächelte sie wenigstens an. Sie legte eine Hand auf seinen ausgestreckten Arm. »Ich fühle mich geehrt«, sagte sie und ging mit ihm zu ihrem wartenden Pferd.
Liana war gerade aufgesessen, als Rogan zu ihnen zurückritt. Er sah sie nicht an; musterte jedoch seinen Bruder mit finsterem Blick.
»Wenn du damit fertig bist, die Magd einer Lady zu spielen, kommst du an meine Seite«, sagte Rogan.
»Vielleicht würde deine Frau gern mit uns zusammen reiten«, sagte Severn ein wenig spitz über Lianas Kopf hinweg.
»Ich will dort keine Frau haben«, schnaubte Rogan und blickte Liana immer noch nicht an.
»Ich glaube nicht, daß sie . . .« begann Severn; aber Liana schnitt ihm das Wort ab.
Selbst sie wußte, daß es ihrem Mann unmöglich gefallen konnte, wenn sie zur Ursache eines Streites zwischen ihm und seinem Bruder wurde. »Ich möchte lieber hierbleiben«, sagte sie laut. »Ich werde mich sicherer fühlen, wenn ich von Männern umgeben bin«, sagte sie laut. »Und Ihr, Sir«, sagte sie, an Severn gewandt, »werdet da vorn bei meinem . . . meinem Gatten gebraucht.«
Severn blickte sie einen Moment lang stirnrunzelnd an. »Wie Ihr wünscht«, sagte er dann mit einer kleinen Verbeugung und ritt von ihr weg, um sich neben seinem Bruder an die Spitze der Kolonne zu setzen.
»Ausgezeichnet, Mylady«, sagte Joice, als sie ihr Pferd vorantrieb, um neben ihrer Herrin zu reiten. »Ihr habt ihn mit Euren Worten erfreut. Lord Rogan wird eine gehorsame Ehefrau schätzen.«
Nachdem sie über die Zugbrücke geritten waren und die staubige Landstraße erreichten, begann Liana zu niesen. »Ich bin eine gehorsame Frau gewesen, wie du es verlangtest; doch nun muß ich hinter zehn Männern und einem halben Dutzend Fuhrwerken herreiten und Staub schlucken«, murmelte sie.
»Aber Ihr werdet am Ende siegen«, erwiderte Joice. »Ihr werdet es erleben. Sobald er erkannt hat, daß Ihr gehorsam und loyal seid, wird er Euch lieben.«
Liana hustete und rieb sich die Nase. Es war nicht einfach, an Liebe und Treue zu denken, wenn man den Mund voller Staub hatte.
Sie ritten nun einige Stunden, wobei Liana blieb, wo sie von Anfang an gewesen war — in der Mitte des Zuges —, und von keinem der Männer ihres Mannes angesprochen wurde. Das einzige, was sie zu hören bekam, war die Stimme von Joice, die ihr auch während des Rittes Vorträge hielt über die Gehorsamspflicht der Frau und andere eheliche lügenden. Und als Severn sie einmal fragte, wie denn ihr Befinden sei, antwortete Joice für ihre Herrin, wenn Lord Rogan wünschte, daß seine Frau sich dort aufhalten sollte, wo sie sich gerade befand, würde sich Lady Liana natürlich auch über ihr dortiges Befinden freuen.
Liana schenkte Severn ein schwaches Lächeln und hustete dann, weil sie wieder eine Portion Staub hatte schlucken müssen.
»Dieser Mann zeigt ein viel zu großes Interesse für Euch«, sagte Joice, als Severn sich wieder entfernt hatte. »Ihr solltet Ihn von Anfang an wissen lassen, daß er sich Euch gegenüber nichts herausnehmen darf.«
»Er
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