Die Zaehmung
hinunterreichte. Liana wußte, daß diese Darstellerin sie selbst sein sollte. Und wie würden diese grausamen Leute sie porträtieren?
Von rechts traten nun Lord Bussard und ein Mann auf, der als Priester verkleidet war. Der Priester begann eine Trauungszeremonie vorzutragen. Lord Bussard, der offensichtlich gelangweilt war, beachtete das hübsche Mädchen in Weiß überhaupt nicht. Statt dessen tat er dem Publikum schön, warf den Mädchen auf den Zuschauerbänken, die Lippen spitzend, Küsse zu, kniff ein Auge zusammen und schlug immer wieder seinen Umhang auf, um den Mädchen zu zeigen, wie gut bestückt er war. Das Mädchen in Weiß hielt den Kopf gesenkt und die Hände verschränkt.
Als der Priester das Mädchen und den Lord zum Ehepaar erklärte, packte Lord Bussard das Mädchen bei den Schultern, hob es hoch und begann, es zu schütteln. Münzen regneten aus ihrem Gewand auf die Bühne hinunter, und Lord Bussards Männer rannten herbei und beeilten sich, die Münzen aufzusammeln. Als kein Geld mehr aus dem Gewand des blonden Mädchens herausfiel, setzte er es wieder auf der Bühne ab, drehte ihm den Rücken zu und stolzierte von der Bühne, wobei er wieder mit dem Publikum flirtete und seinen Umhang öffnete und schloß. Das Mädchen ging mit gesenktem Kopf zum Hintergrund der Bühne.
Sogleich trat ein Mann auf, der eine Kuh mit sich führte. Lord Bussard kam ihm in der Mitte der Bühne entgegen.
»Was ist das?« forschte Lord Bussard.
»Mylord«, sagte der Mann, »diese Kuh aß Euer Gemüse.«
Lord Bussard tätschelte der Kuh den Kopf. »Kühe müssen essen.« Er wollte wieder abtreten, drehte sich aber nach zwei Schritten um und funkelte den Mann an: »Hast du etwa auch von meinem Gemüse gegessen?«
»Ich habe mir ein Stück Rübe genommen, das der Kuh aus dem Maul fiel«, erwiderte der Mann.
»Hängt ihn auf!« befahl Lord Bussard, und seine narbenbedeckten Ritter eilten herbei, um seinen Befehl auszuführen.
Der Mann sank auf die Knie. »Aber, Mylord, ich habe zu Hause sechs Kinder zu füttern. Bitte, habt Erbarmen mit mir.«
Lord Bussard blickte seine Männer an. »Hängt die ganze Familie auf. Dann haben wir weniger Mäuler zu stopfen.«
Die Ritter schleppten den Mann zur Hinterbühne und legten ihm ein Seil um den Hals. Er stand nun neben dem Mann im Feuer, der alten Frau am Pfahl und der Dame in Weiß.
Die Dame in Weiß betrachtete diese Leute und schüttelte betrübt den Kopf.
Auf die Bühne scharwenzelten nun zwei hübsche pummelige, junge Frauen, in denen Liana zwei von den Wochentagen erkannte. Das Publikum, besonders die Männer, johlten und pfiffen, und die Wochentage streckten sich und beugten sich vor — kurzum, taten alles, um ihre körperlichen Reize zur Geltung zu bringen. Liana warf Rogan einen verstohlenen Blick zu. Er saß so regungslos da wie eine Statue und verfolgte offenbar konzentriert das Geschehen auf der Bühne.
Einer instinktiven Regung folgend, streckte sie den Arm aus und ergriff seine Rechte, und zu ihrer Überraschung klammerte er sich an ihre Hand.
Sie blickte zur Bühne zurück, wo soeben Lord Bussard wieder auftrat, beim Anblick der beiden Wochentage stehenblieb und dann auf sie zusprang, während sich sein Umhang vorne teilte. Die drei wälzten sich im nächsten Moment auf den Bühnenbrettern.
Es war bei diesem Anblick, daß die Lady in Weiß plötzlich lebendig wurde. Sie hatte sich nicht daran gestört, daß ihr Mann sie bei der Hochzeit ignorierte, hatte sich ruhig die Münzen aus ihren Gewändern schütteln lassen und auch nicht protestiert, als der Mann gehängt wurde, der eine Rübe gegessen hatte, die von der Kuh ausgespuckt worden war. Aber als die beiden Frauen sich mit ihrem Mann auf dem Boden wälzen sah, wurde sie plötzlich aktiv.
Sie riß sich den weißen Umhang vom Leib, und darunter kam ein rotes Gewand zum Vorschein. Hinter einem Topf, in dem ein kahler Baum steckte, holte sie einen roten Kopfschmuck hervor, an dem große züngelnde, rote Flammen aus Papier befestigt waren, und drückte diesen auf ihre blonde Perücke.
»Die Feuerlady!« jubelte das Publikum entzückt.
Die rotgewandete Feuerlady nahm nun die Bündel rotgefärbten Strohs von den Füßen der alten Frau weg, die an einen der Bäume gebunden war, und begann sie auf die drei Leute zu werfen, die sich vorne auf der Bühne wälzten. Die Wochentage sprangen kreischend in die
Höhe, schrien und taten so, als würden sie ihre brennenden Kleider und Haare zu löschen
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