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Die Zahl

Die Zahl

Titel: Die Zahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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den Unfallbericht gebeugt vorfand.
    »Es sieht so aus, als hätten wir einen weiteren Treffer. Raimund Schelling war einer der Rettungssanitäter, die als Erste am Unfallort waren. Weißt du, was das heißt?«
    »Wenn man einen Verletzten nur einen Millimeter falsch bewegt, kann das zu bleibenden Schäden führen. Genz könnte also Schelling die Schuld an der Querschnittslähmung gegeben haben.«
    »Genau, und sieh dir das an.« Morell zeigte auf den Unfallbericht, der vor ihm lag.
    »Maria Zieher«, las Capelli laut vor.
    »Sie war eine der Zeugen, die aussagten, dass Sascha zu schnell gefahren war.«
    »Heiß. Wir kommen der Sache immer näher. Was ist mit den anderen Opfern?«
    »Zu Susanne, Linda und Thomas habe ich noch keinen Bezug herstellen können.«
    »Trotzdem sind das schon vier von sieben. Und das nur beim ersten Mal drübersehen.«
    »Stimmt. Sobald wir die Patientenunterlagen bekommen, können wir überprüfen, ob deine Vermutung mit der Zwölf richtig war.«
    Als wäre das das Stichwort gewesen, kam Bender herein und legte die gefaxten Seiten auf den Tisch. Capelli brauchte nur wenige Sekunden, um zu finden, wonach sie suchte.
    »Irreparable Quetschung des TH 12 «, las sie vor.
    »Verdammt«, sagte Morell. »Sascha Genz. Das hätte ich nie gedacht. Er war immer so ein ruhiger, netter Kerl. Ein treuer Ehemann und fürsorglicher Vater.« Er schüttelte den Kopf.
    »Es sind meistens diejenigen, von denen man es am wenigsten erwartet«, sagte Capelli und tätschelte die Schulter des Chefinspektors. »Genz hat einen schweren Schicksalsschlag erlitten. So etwas kann einen Menschen komplett verändern. Sein Kind wird für den Rest des Lebens gelähmt sein, und zu einem gewissen Teil ist das seine Schuld. Viele Menschen zerbrechen an so etwas. Er hat versucht, die Schuld bei anderen zu suchen. Beim Sanitäter, der zwar das Leben des Kindes gerettet, aber dafür eine Lähmung riskiert hat. Bei der Zeugin, deren Aussage ein Grund dafür war, warum die Versicherung kein Geld bezahlt hat. Bei dem Makler, der ihm die Versicherung verkauft hat, und dem Autohändler, von dem er das Auto hatte. Susanne, Linda und Thomas spielen da sicher auch eine Rolle, die wir erst noch finden müssen.«
    »Trotzdem, ich kenne Sascha doch schon so lange. Ich hätte eigentlich was merken müssen ...«
    »Du kennst ihn vielleicht schon lange, aber wie gut kennst du ihn? Manchmal werden Menschen zu Mördern, und nicht einmal ihre Ehepartner, mit denen sie unter einem Dach leben, merken was davon.«
    Morell nickte traurig. Er dachte zurück an seine Zeit bei der Kriminalpolizei in Wien. Oft gab es nichtigere Gründe, einen Mord zu begehen. Er erinnerte sich an eine Frau, die ihren Mann erstach, weil er ihre Lieblings- CD versehentlich zerkratzt hatte.
    »Dann werde ich mal zu Sascha fahren und ihn mir vornehmen«, sagte er, zog einen kleinen Schlüssel aus der Hosentasche und schloss die unterste Schublade seines Schreibtisches auf. Er nahm ein schwarzes Kästchen heraus und öffnete es behutsam. »Meine Dienstwaffe. Ich habe sie seit Jahren nicht mehr getragen.« Wehmütig dachte er an seine bisherige Dienstzeit in Landau zurück. »Da muss ich jetzt wohl durch.« Er stand auf, schnallte sich seine Glock um und ging zu Bender ins Vorzimmer.
    »Sieht so aus, als hätten wir den Mörder«, sagte er. »Komm bitte mit, ich erklär dir alles Nötige im Auto.«
    In Genz’ Haus herrschte ein noch größeres Chaos als zuvor. Es stank fürchterlich, und überall lagen Schuhe, Kleider, Zeitungen, Geschirr, Essensreste und leere Bierdosen herum. Vergeblich sah sich Morell nach einem freien Stuhl oder einer anderen Sitzgelegenheit um. Inmitten des ganzen Wirrwarrs standen einige Umzugskartons.
    »Sie hat mich endgültig verlassen«, sagte Sascha, »und Bea hat sie mitgenommen.«
    »Das tut mir leid«, sagte Morell. Wenn er ehrlich war, konnte er Ilse gut verstehen. Genz war nur noch ein Wrack, ein Schatten seiner selbst. So wie er jetzt vor Morell und Bender stand, war er wirklich mitleiderregend. Seine Wangen waren eingefallen, die Klamotten schlabberten um seinen knochigen Körper. Er erinnerte Morell an die Nachher-Bilder aus der Diätwerbung, in denen sich die Kandidaten stolz in ihren alten Kleidern zeigten, die ihnen mittlerweile viel zu weit geworden waren.
    Der Chefinspektor war schockiert. Er hatte seinen letzten Besuch bei Genz schon bedrückend gefunden, aber was er heute sah, hatte nochmal eine ganz andere Qualität. Offenbar hatte

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