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Die Zahl

Die Zahl

Titel: Die Zahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Larcher
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dass ihr Stimmungswechsel nichts mit ihm zu tun hatte. »Sascha wird seine verdiente Strafe bekommen. Das ist zwar nur ein schwacher Trost, aber besser als nichts. Warst du mit Maria befreundet?«
    »Ich würde sagen, wir waren gute Bekannte. Was mich so trifft,
ist, dass sie noch so viel vorhatte. Ihre Kinder waren aus dem Gröbsten raus, endlich hatte sie wieder mehr Zeit für sich. Sie musste damals für die Ehe und die Familie so viele Träume begraben. In ihrer Jugend war sie so ambitioniert und voller Energie. Kannst du dir vorstellen, dass sie früher einmal unbedingt die Welt umsegeln wollte?«
    Morell horchte auf. Irgendetwas in seinem Hirn klingelte. Er dachte an das kleine Segelboot, das sie am Tatort gefunden hatten.
    Die Leichtigkeit, die er die letzten paar Minuten verspürt hatte, war mit einem Schlag verflogen. Stattdessen breitete sich wieder das mulmige Gefühl aus, das ihn seit der Verhaftung von Genz nicht loslassen wollte. Nur, dass dieses Gefühl jetzt noch viel stärker war. Irgendetwas Bedrohliches lag in der Luft. Das sagte ihm sein Bauch, und sein Bauch irrte sich bekanntlich nie.

»Man nahm ihn aus der Schlinge heraus:
zwölf Knoten waren im Strick.«
    Ivan Turgenjew, Drei Begegnungen
    Nicht nur der ganze Parkplatz vor Morells Haus, sondern auch der Gehsteig und die Wiese vis-à-vis waren zugeparkt.
    Lorentz zog den Reißverschluss seiner Jacke bis unters Kinn und stapfte zum Honda seiner Mutter. Vorne und an den Seiten war weder ein Kratzer noch eine Delle zu sehen. Er wollte darum gerade den hinteren Teil inspizieren, als er von einem Autoscheinwerfer angeleuchtet wurde. Er konnte den Wagen und den Fahrer darin nicht erkennen, da das Licht ihn blendete. Also wartete er darauf, dass es wieder ausging, aber nichts geschah.
    »Wollen Sie etwas von mir?«, rief Lorentz und ging auf das Auto zu. Als er bei der Tür angelangt war, wurde das Beifahrerfenster hinuntergelassen, und er spähte in den Fahrerraum.
    »Ach, du bist es«, sagte er verwundert. »Hast du ein neues Auto?«
    »Nein, das habe ich schon länger.«
    »Was machst du hier, ich ...«
    »Ich muss mich kurz mit dir unterhalten«, wurde Lorentz unterbrochen.
    »Können wir das nicht morgen machen? Ich muss wieder rein.«
    »Es dauert nicht lange.«
    »Na gut, dann schieß los!« Er fröstelte.
    »Es ist kalt da draußen. Steig kurz ein, der Wagen hat eine Sitzheizung.«
    »Na gut, aber wirklich nur ganz kurz.« Er öffnete die Autotür und setzte sich auf den Beifahrersitz. »Also, was gibt es?«
    Lorentz bekam keine Antwort, dafür spürte er einen stechenden Schmerz in seinem Oberschenkel. »Au«, schrie er. »Spinnst du?« Er rieb sich die Stelle. »Du hast sie wohl nicht mehr alle? Was war das?« Er starrte auf die Spritze und wurde von Panik durchflutet. Instinktiv griff er an die Tür und wollte sie aufreißen, aber sie war verschlossen.
    »Lass mich sofort raus«, sagte er und merkte, dass seine Zunge plötzlich schwer wie Blei war. Er wollte die Verriegelung lösen, aber seine Hand bewegte sich nicht. Lorentz wurde unendlich müde, und alles um ihn herum begann zu verschwimmen.
    Das Letzte, was er mitbekam, war, dass das Auto startete und wegfuhr. Er hatte keine Ahnung, wohin und was das alles sollte. Er hatte auch keine Zeit, sich viele Gedanken darüber zu machen, da sein Bewusstsein in ein tiefes, schwarzes Loch abtauchte.

»Und sie zündet zwölf Kerzen. Ihr flackerndes Licht –
Es gab einen trüben Schein.
Und sie legt ein Gewebe, schwarz und dicht,
Auf den Stuhl von Elfenbein.«
    Theodor Fontane, Gorm Grymme
    Capelli wartete. Sie stand selig grinsend vor der Küche, hielt zwei Gläser Bowle in ihren Händen und konnte es kaum erwarten, dass Lorentz wieder auftauchte.
    Leander Lorentz hatte der schönen Iris doch tatsächlich einen Korb gegeben, das Wort ›verliebt‹ in den Mund genommen und sie geküsst. Wie sie es erwartet hatte, war er ein phantastischer Küsser. Bei der Erinnerung daran wurde ihr Grinsen noch breiter.
    Einige Minuten später war ihr Lächeln nicht mehr ganz so strahlend, und die Gläser in ihren Händen wurden langsam schwer.
    Wo steckte der Kerl denn nur? Anscheinend war der Schaden am Auto seiner Mutter doch keine Lappalie, sondern etwas Größeres. Sie stellte die beiden Gläser auf einem kleinen Tischchen ab, ging zum Fenster und schaute hinaus. Von hier konnte sie nur einen Teil des Parkplatzes und der Straße überblicken, außerdem war es draußen sehr dunkel. Sie öffnete das Fenster

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